Sind Zinsderivate zweifelhafte Wettgeschäfte oder ein effektives Finanzinstrument auch für kommunale Trägerschaften?
Würzburg gegen die Deutsche Bank
Durch Zinsgeschäfte hat die Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH (WVV) rund vier Millionen Euro verloren – jetzt verklagt sie die Deutsche Bank wegen mangelhafter Beratung auf einen Schadensersatz von 2,6 Millionen Euro.
Die Stadtwerke Würzburg und das lokale Heizkraftwerk hatten von der Deutschen Bank Zinsderivate erworben. Ein nicht vorhergesehener Anstieg der kurzfristigen Zinsen aber führte zu dem Verlust in Millionenhöhe. Das kommunale Versorgungsunternehmen hatte im Vorfeld einen Beratervertrag mit der Deutschen Bank geschlossen, und so argumentiert der Anwalt der WVV, man habe man aufgrund der mangelhaften Beratung durch die Deutsche Bank nicht erkennen können, dass es sich um extrem riskante Spekulationen mit der Möglichkeit eines Totalverlustes handelte. Ganz so ahnungslos war man auf Seiten der WVV allerdings wohl nicht, standen doch dort nicht etwa Laien, sondern Finanzexperten den Beratern der Bank gegenüber.
Das Landgericht Würzburg bemühte sich bei einer ersten Anhörung in der vergangenen Woche um einen außergerichtlichen Vergleich, der jedoch von den Vertretern der Deutschen Bank zu diesem Zeitpunkt rigoros abgelehnt wurde. Die Richter schätzen die Chancen der WVV tatsächlich eher gering ein, wenn auch nicht als völlig aussichtslos. Das Gericht geht zwar von einer Mitschuld der WVV aus, es stelle sich aber die Frage, ob das Kreditinstitut ein Produkt empfohlen habe, das sich für seinen Kunden schlicht nicht eigne. Und ein aus Sicht der Bank negatives Urteil hätte weit reichende Auswirkungen auf vergleichbare Geschäfte. Schon jetzt erwägen etliche Gemeinden aufgrund erlittener Verluste ähnliche rechtliche Schritte gegen ihre Kreditinstitute.
Zinsgeschäfte gleich Wettgeschäfte?
Es stellt sich die Frage, ob Derivate im Allgemeinen und speziell Zinsderivate überhaupt geeignete Finanzinstrumente für kommunale Körperschaften sind, umweht sie doch der Hauch einer höchst spekulativen Wette. Aber ist das wirklich so? Sind Zinsgeschäfte wie diese von der Seriosität einer Sportwette, oder steckt doch ein bisschen mehr dahinter?
Abkömmling mit riskanter Hebelwirkung
Das in der Privatwirtschaft entwickelte Instrument des „Derivats“, das Unternehmen schon lange zur Diversifikation und Absicherung ihrer Portfoliorisiken nutzen, wird seit einigen Jahren auch vermehrt von Bund, Länder und Kommunen eingesetzt. Ziel ist dabei die Verringerung des Zinsänderungsrisikos und damit eine Begrenzung der teilweise erheblichen Zinslasten der Kommunen aus ihren Krediten. Das Wort „Derivat“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie „Abkömmling“. Derivate beziehen sich auf einen so genannten unterliegenden Wert, also beispielsweise wie im vorliegenden Fall auf einen Zinssatz oder auch auf eine Aktie. Die Marktentwicklung dieses unterliegenden Wertes ist neben anderen Faktoren maßgeblich für die Wertentwicklung des Derivats, wobei sich Derivate durch eine Hebelwirkung auszeichnen. Das heißt, dass sich sowohl positive als auch negative Entwicklungen des zugrunde liegenden Wertes im Derivat um ein Mehrfaches niederschlagen. Damit birgt der Hebel ein nicht unerhebliches Risiko. Andererseits ermöglichen Derivate mit vergleichsweise geringem Kapitaleinsatz bestimmte Markterwartungen auszudrücken und damit Ausfall- und Zinssteigerungsrisiken abzusichern.
Caps und Swaps
Derivate werden außerbörslich, also „Over the Counter“ (OTC) gehandelt. In Deutschland sind die Handelspartner der Kommunen vor allem die großen Geschäftsbanken. Über den Tresen gehen hier in erster Linie so genannte „Caps“ und „Swaps“, wobei kommunale Körperschaften am liebsten Caps kaufen. Denn Caps wirken wie eine Versicherung gegen steigende Zinslasten: Wenn der vereinbarte Zinssatz über einen bestimmten Wert steigt, zahlt die Bank einen Ausgleich in vorher festgelegter Höhe an die Kommune. Aber auch Swaps, bei denen in der Regel ein variabler Zinssatz gegen einen festen getauscht wird, sind recht verbreitet. Bei den viel kritisierten „Ladder-Swaps“ können sich die Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Bank je nach Entwicklung des Zinssatzes tatsächlich in unermessliche Höhen aufschrauben.
Die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im Allgemeinen und das Spekulationsverbot bei Derivatgeschäften im Besonderen
Da der Abschluss eines Zinsderivats eine Prognose über die erwartete Zinsentwicklung beinhaltet, werden diese in der öffentlichen Diskussion häufig mit zweifelhaften Wettgeschäften gleich gesetzt. Allerdings erfordert jede Aktion auf dem Finanzmarkt eine derartige Meinungsbildung, und kaum jemand würde die Aufnahme oder auch Verschiebung eines Kredites aufgrund aktueller und erwarteter Zinssätze als spekulatives Wettgeschäft bezeichnen. Im Gegenteil, grundsätzlich bieten Derivate den Kommunen die Möglichkeit, ihre Haushaltskosten erheblich zu reduzieren – vorausgesetzt natürlich, ihre Markterwartungen bestätigen sich. Dazu muss man wissen, dass sich öffentliche Körperschaften bei jeder Aktion nach den kommunalen Haushaltsgrundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit richten müssen. Festgelegt sind diese kommunalrechtlichen Anforderungen in den Gemeindeordnungen. Darüber hinaus stellen fast alle Landesinnenministerien an den Erwerb von Derivaten besondere Anforderungen wie den Zusammenhang zwischen Derivat und der unterliegenden Kreditaufnahme. Dabei gilt das so genannte „Spekulationsverbot“. Fehlt ein entsprechender Zusammenhang, ist der Abschluss eines Derivats nicht zulässig.
Zinsgeschäfte sind keine Wettgeschäfte
Inesbesondere an dieser Stelle wird man streiten können, daher sollten sich öffentliche Trägerschaften sowohl finanzmathematisch als auch juristisch beraten lassen. Die jeweiligen Aufsichtsbehörden können ebenfalls zur Beurteilung eines geplanten Zinsgeschäftes herangezogen werden. Und auch die Banken wenden strenge Vorschriften im Derivathandel an. So prüfen sie ihrerseits, ob die kommunalrechtlichen Bedingungen eingehalten werden und werden mögliche Risiken durch entsprechende Analysen darstellen. Eine umfassende Beratung und ein genaues Verständnis des Finanzinstruments auch auf Seiten der Kommune liegen im Interesse beider Seiten. Besonders wichtig ist es, das beschriebene Risiko aufgrund der Hebelwirkung von Derivaten bereits im Vorfeld zu begrenzen. So kann es kein böses Erwachen geben, denn ein unübersehbares Aufschaukeln der Zinsbelastung ist nicht mehr möglich. Und es ist keinesfalls unüblich, eine Höchstgrenze der Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Bank zu vereinbaren, so dass die Risiken kalkulierbar werden.
Im vorliegenden Fall habe die WVV eine derartige Begrenzung abgelehnt, so jedenfalls heißt es von Seiten der Deutschen Bank. Da eine gütliche Einigung nicht erreicht werden konnte, wird sich nun das Landgericht Würzburg mit der Frage befassen müssen, ob und in welchem Ausmaß welche Seite ihren Informations- und Beratungspflichten möglicherweise nicht nachgekommen ist und ob die kommunalrechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten wurden. Keinesfalls aber kann aus dem erlittenen Verlust einfach eine unlautere Spekulation ableiten oder gar Zinsgeschäfte im Allgemeinen mit Wetten gleichsetzen. Im Gegenteil, bei einem verantwortungsvollen und also auch kompetenten Umgang mit diesen und anderen derivaten Finanzinstrumenten haben die Kommunen ein wirkungsvolles Mittel zur Reduzierung ihrer Haushaltskosten an der Hand. Die beste Voraussetzung für einen effizienten Umgang mit Zinsgeschäften sind demnach entsprechend geschulte Mitarbeiter in den Kommunen, wie sie auch die Deutsche Bank im Fall des Würzburger Versorgungsunternehmens vor sich zu haben glaubte.