Bundesgerichtshof spricht Schadenersatz bei falschen Berichten zu – BGH 17.12.2013 (VI ZR 211/12) – von Dr. Erik Kraatz, Rechtsanwalt in Berlin
Juristisches Reputationsmanagement im Internet ist ein großes Streitthema geworden. Auch wenn viele Internetnutzer hier noch immer die Vorstellung eines rechtsfreien Raumes haben, verdeutlicht ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs einmal wieder das Gegenteil.
Bundesgerichthof prüft Sachverhalt und spricht Schadenersatz zu – üble Falschberichterstattung
Auf den Kläger, Leiter einer Rechtsabteilung, wurde ein Attentat verübt, bei dem er lebensgefährlich verletzt wurde. Die Attentäter hatten im Auftrag von Hintermännern gearbeitet, die mit Immobiliengeschäften im Zusammenhang standen. Das Attentat und seien Hintergründe waren Gegenstand zahlreicher Pressemitteilungen. In einem Internetportal veröffentlichte der Beklagte einen Beitrag zu den Hintergründen mit dem Titel „Sächsische Korruptionsaffäre – Ein Krimi aus dem Leipziger Sumpf“. Hierin heißt es unter anderem unter voller Namensnennung: „Y ahnte lange nicht, warum sie 2005 aus ihrem Job gemobbt und bedroht wurde. Erst als Einzelheiten der Sächsischen Korruptionsaffäre ans Licht kamen, wurde der Sekretärin klar: Sie wusste zu viel – ohne es zu wissen. … Y wollte nie Kronzeugin sein, Interviews geben oder den Dreck zurückwerfen, mit dem man sie selbst beinahe zur Verzweiflung trieb. Aus lauter Loyalität hat sie sich nicht einmal vor Gericht gegen ihre abgekartete Kündigung gewehrt. … Y hielt die Rechtsabteilung zusammen. Ihr Chef konnte all die Jahre gar nicht oft genug sagen, was er ohne sie machen sollte; sie war engste Vertraute, Ratgeberin in allen Lebenslagen und verteidigte ihn „wie eine Löwenmutter“ gegen alle Anfeindungen aus dem Unternehmen. „Egal was die Kollegen hinter seinem Rücken sagten, ob sie X (Anmerkung des Senats: Kläger) als Faulpelz verleumdeten oder als einen, der sowieso die Hand aufhält“ – sie hat ihm immer alles gesteckt, auch als ihn seine eigenen Juristenkollegen „als pädophilen Arsch“ bezeichnen. Damals fand sie das unglaublich. … Es ist ihr unangenehm, als er sie bittet, kindische Vergleichslisten zwischen seiner Ehefrau und einer Geliebten zu beurteilen,… Und als sei dies selbstverständlich, bewahrt sie sogar Diskretion, als einmal ein Mädchen, „vielleicht 14 Jahre alt“, im Büro auftaucht und „nach X“ fragt, der ihr angeblich versprochen hätte, mit ihr nach Sardinien abzuhauen. „Das Mädchen nannte sich Lissy, hat geweint und gebettelt, ich möge X nichts von dem Besuch sagen, denn das hätte er ihr verboten.“ Und tatsächlich sagt Y ihrem Chef diesmal nichts.
Opfer galt als Kinderschänder – das stand im Internet
Das Ergebnis war ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs, das mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt wurde. In zivilrechtlicher Sicht zeigte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 17.12.2013 (VI ZR 211/12) einmal mehr die Parallelen zwischen dem Presserecht und den anerkannten Grundsätzen des Internets auf und verurteilte den Betreiber des Internetportal sowie den Autor des Beitrags zu einem Schadensersatz wegen Ehrverletzung.
Rechtliche Bewertung von Internetbeiträgen
Um diese Entscheidung zu verstehen, muss man sich der Grundsätze des Ehrschutzes im Internet bewusst sein, die da lauten:
1. Übertragungsgrundsatz
Dies bedeutet jedoch keine grenzenlose Freiheit, die auf der Kehrseite mit einer entgrenzten Schutzlosigkeit der Opfer verbunden wäre, sondern es gilt der sog. Übertragungsgrundsatz, d.h. die Rechtsregelungen der realen Welt sind grundsätzlich zu übertragen, wenngleich die Besonderheiten des Internets einzubeziehen sind. Prüfungsgrundsatz: Wie wird die Rechtsfrage offline beantwortet? Hier ist grundsätzlich ein Parallelfall zu bilden, etwa, wie die entsprechende Rechtsaussage in einem Meinungsforum zu bewerten wäre, wenn sie in einer Zeitung oder im Fernsehen im Rahmen einer Diskussion geäußert worden wäre.
Insbesondere bei ehrverletzenden Äußerungen im Internet ist grundsätzlich – wie sonst auch – die Meinungsfreiheit des Einzelnen gegen die geschützten Rechte Dritter (insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das die eigene Ehre sowie das Recht am eigenen Bild [Foto] etc. beinhaltet) abzuwägen. Die hier in der realen Welt festgelegten Grenzen der freien Rede gelten auch im Internet: So unterfallen falsche, ehrverletzende Tatsachenbehauptungen (z.B. Herr Müller greift immer in die Kasse und veruntreut Geld) dem Straftatbestand der üblen Nachrede (§ 186 des Strafgesetzbuchs) und sollten daher unterbleiben. Dies gilt generell für ehrverletzende Tatsachenbehauptungen, da hier derjenige, der die Äu¬ße¬rung trifft, die materielle Beweislast für die Wahrheit der behaupteten Tatsache trägt und somit das volle (Verurteilungsrisiko) trägt, wenn der Beweis der Wahrheit der Tatsachenaussage vor Gericht (aus welchem Grund auch immer) nicht erbracht werden kann.
Eine weitere Grenze der freien Rede stellt der Beleidigungs-Tatbestand dar (§ 185 Strafgesetzbuch), der Angriffe auf die innere Ehre (sog. Selbstwertgefühl) oder/und die äußere Ehre (der gute Ruf) unter Strafe stellt. Zwar sind Werturteile grundsätzlich vom Recht zur freien Meinungsäußerung gedeckt, jedoch nur soweit sie nicht darauf gerichtet ist, die Persönlichkeit des anderen herabzusetzen, so dass nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des anderen im Mittelpunkt steht – der andere wird also bewusst „durch den Dreck gezogen“. Beispiel: Der Geschäftsführer einer Gesellschaft wird als „unfähiger Taugenicht, ein elender Wurm und Halsabschneider“ bezeichnet. Derartige Äußerungen sind nach dem Übertragungsgrundsatz gleichfalls im Internet strafbar. Zivilrechtlich kann deren Unterlassung und Beseitigung verlangt werden.
2. Grundsatz des Eigenschutzes im Internet
Hierbei gilt jedoch (leider) der sogenannte Grundsatz des Eigenschutzes im Internet: So gehen Gerichte wie die Diskussion in der Literatur davon aus, dass Betreiber von Meinungsforen oder Suchmaschinenbetreiber wie Google nicht ständig ihre Seiten nach rechtswidrigen Inhalten durchsuchen müssen, da dies unzumutbare Prüfpflichten bedeuten würde; vielmehr hat jeder Betroffene sich in erster Linie selbst zu schützen. Hierzu empfiehlt es sich, den eigenen Namen in gewissen Zeitabständen selbst zu googeln und die ausgegebenen Seiten nach verletzendem Inhalt zu überprüfen. Derartige Seiten sind Forenbetreibern oder Suchmaschinenbetreibern zu melden. Denn ansonsten würde man eine umfassende Pflicht von Foren- oder Suchmaschinenbetreibern statuieren, ihre Seiten ständig zu überwachen. Dies wird grundsätzlich als zu weitgehend und unzumutbar gehalten. Ausnahmen gibt es lediglich dort, wo ein Forenbetreiber einen Thread bewusst provozierend anmoderiert oder sich fremde Aussagen zu eigen macht.
3. Grundsatz der faktischen Wiederholung
Erst wenn seitens eines Nutzers konkrete rechtswidrige Äußerungen beanstandet werden, ist der Internet-Administrator verpflichtet, diese Kommentare von der Internetseite zu nehmen. Hier hinter steckt der „Grundsatz einer faktischen Wiederholung“, wie er rechtlich für Rechtsverletzungen in Funk und Fernsehen entwickelt wurde. Dort ist inzwischen anerkannt, dass die sog. mediale Privilegierung für rechtsverletzende Meinungsäußerungen in Live-Sendungen sich nicht auf Wiederholungen erstreckt, da dem Veranstalter hier die Möglichkeit offen steht, die durch eine Wiederholung erfolgende erneute Verbreitung von ihm bekannten ehrverletzenden Äußerungen Dritter während der Sendung durch eine Zensur zu verhindern. Erfolgt dies nicht, so haftet der Veranstalter. Diese gleichen Grundsätze sind auf den Betreiber einer Internetseite übertragbar. Entfernt dieser den rechtswidrigen Inhalt auf eine konkrete Beanstandung hin nicht unverzüglich, wofür teilweise nur wenige Stunden seitens der Rechtsprechung zugebilligt werden, so kann er abgemahnt oder gegen ihn mittels einstweiliger gerichtlicher Verfügung vorgegangen werden.
4. Adressatentheorie
Die Reichweite der Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche des Verletzten (Beleidigten) richten sich hierbei nach dem konkreten Adressaten: Der Betreiber eines Internetforums hat (wie jeder Host-Provider) die ehrverletzende Äußerung vom Netz zu nehmen und mittels zuverlässiger Filtertechnik dafür zu sorgen, dass vergleichbare Inhalte nicht erneut auf der Internetseite landen.
Betreiber einer Suchmaschinenseite haben den Eintrag in ihren Suchmaschinen, der auf eine Seite mit rechtswidrigem Inhalt verweist, zu löschen sowie ihren Crawler entsprechend umzuprogrammieren, dass dieser Beitrag nicht zu einem späteren Zeitpunkt auf Grund von Aktivitäten des Betreibers der entsprechenden Internetseiten oder Veränderungen bei der Programmierung der Suchmaschine wieder in die Ergebnisliste ausgenommen wird. Ein Access-Provider hat auf Mitteilung von Seiten mit ehrverletzendem Inhalt ihm zumutbare Maßnahmen zu treffend, z.B. DNS- oder IP-Sperren. Sofern der Adressat des Beseitigungsbegehrens mehrere Rollen innehat, treffen ihn sämtliche entsprechende Pflichten.
Hieraus ergibt sich für den konkreten Fall:
Verletzung von Rechten durch Internetbeiträge
Wer nicht Kinderpornofan ist, muss sich auch nicht als solchen bezeichnen lassen. Und damit einen Eingriff in sein aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz folgendes allgemeines Persönlichkeitsrecht nicht dulden. Nach der Presserechtsprechung gilt zwar, dass eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden kann, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf. Über einen Kinderpornoverdacht darf berichtet werden, wenn keine Vorverurteilung stattfindet und diese Berichterstattung für die Öffentlichkeit wichtig ist. Reine Vermutungen ins Blaue hinein sind jedoch absolut verboten. Vorliegend fehlte es bereits am erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen.
Geldentschädigung für Internetverleumdungen
Bei schwerwiegender Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts spricht das höchste deutsche Gericht seit 1958 eine Geldentschädigung zu; nach dem Übertragungsgrundsatz kann bei Ehrverletzungen im Internet nichts anderes gelten. Angesichts der Stellung des Internets quasi als modernes Pressemedium ergibt sich auch, dass hier hinsichtlich der Höhe kein Unterschied bestehen kann. Oder in den Worten des Bundesgerichtshofs: „Eine Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine Internetveröffentlichung ist nicht generell höher oder niedriger zu bemessen als eine Entschädigung wegen eines Artikels in den PrintMedien.“ Bei der Bemessung der Höhe kommt es unter anderem darauf an, ob mit der falschen Aussage Geld verdient wurde; also etwa bestimmte Werbung erlangt oder eine Steigerung der Nutzerzahlen (vergleichbar einer Auflagensteigerung bei einer Zeitung) erzielt wurde.
Wegen der extrem schnellen Verbreitung und dauerhaften Verletzung sowie weltweiten Abrufbarkeit dürfte hier wie in kommenden Prozessen eher von einer hohen Summe auszugehen sein. Dieser Gefahr sollte sich jeder Betreiber eines Meinungsforums bewusst sein.
Pressekontakt/ViSdP:
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