Recht und Gesetz

Bundesgerichtshof: Private Anleger müssen sich nicht an Staatsumschuldungen beteiligen! – von Dr. Erik Kraatz, Strafrechtler und Privatdozent

Die Insolvenz ganzer Staaten ist nicht erst seit den Diskussionen um die Zahlungsfähigkeit Griechenlands und einen denkbaren Grexit ein Thema.

Die Staatsinsolvenz bedeutet, dass ein Staat weder seine Fremd-Gläubiger bedienen kann noch seine eigenen Beamten bezahlen kann. Aufgrund von Kriegen, Wirtschaftskrisen kam es immer wieder zu Störungen in diesem Bereich. In dem von dem Bundesgerichtshof entschiedenen aktuellen Fall ging es darum, dass Fremd-Gläubiger des Staates eine Anleihe gezeichnet hatten und vergeblich auf Zinsen und Rückzahlung warteten.

 

 

Die „Argentinien-Krise“ – Hintergründe

So erklärte bereits Argentinien nach einer starken Rezession 1998/1999 und einem Zusammenbruch des Finanzsystems im Jahre 2001 mit einer Staatsverschuldung in Devisen von rund 92 % des Bruttoinlandsprodukts am 06.01.2002 per Gesetz Nr. 25.561 über den öffentlichen Notstand und die Reform des Wechselkurssystems wurde der „öffentliche Notstand auf sozialem, wirtschaftlichem, administrativem, finanziellem und währungspolitischem Gebiet“ erklärt. Mittels auf dieser Grundlage ergangener Verordnung 256/2002 vom 06.02.2002 zur Umstrukturierung der Verbindlichkeiten und Schuldenzahlungen der argentinischen Regierung wurde der Auslandsschuldendienst durch Argentinien ausgesetzt. Mehr als 100 Milliarden US-Dollar Schulden wurden notleidend. Die „Argentinien-Krise“ ist seither ein feststehender Begriff.

Das Gesetz über den öffentlichen Notstand wurde in den letzten Jahren immer wieder verlängert, zuletzt bis zum 31.12.2015. Am 12.01.2005 erfolgte ein erster Schuldenschnitt, der bei den Schuldverschreibungen „Bono Cuasi Par“ einen Schuldenschnitt von 30 % und bei den „Bono de Descuento“ sogar einen Schuldenschnitt von 70 % vorsah, sodass Argentinien nunmehr die Zinsen nicht mehr anerkannte; bei den Schuldverschreibungen „Bono Par“ erfolgte dagegen kein Schuldenschnitt. Im Gegensatz zu den eigentlichen Anleihen stimmten die neuen Anleihen einem ausländischen Gerichtsstand nicht mehr zu. 2010 wurden weitere Umschuldungsverträge geschlossen, die Argentinien verpflichtete, bei weiteren Umschuldungen allen Gläubigern gleiche Konditionen einzuräumen.  Mit beiden „Umschuldungsrunden“ konnte bei insgesamt 93 Prozent aller Anleihegläubiger ein Schuldverzicht bis zu jeweils 93 % erreicht werden.

 

Und die privaten Anleger?

Von den übrigen 7 % der Anleger, zumeist kleine Privatanleger, klagen viele vor Gerichten überall auf der Welt, sahen die ursprünglichen Anleihen doch  noch eine Unterwerfung unter die ausländische Gerichtsbarkeit (§ 11 Nummer 2 der Anleihebedingungen) sowie ein Verzicht Argentiniens auf ihre Immunität (§ 11 Nummer 5 der Anleihebedingungen).

 

Der Schuldenstreit in den USA

In den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) haben sich private Anleger, die sich nicht mit einem Schuldenschnitt einverstanden erklärt haben, ihre Anleihen teilweise günstig an einen Hedgefonds unter Führung des amerikanischen Milliardärs Paul Singer veräußert, der diese zum Nennwert 2012 vor einem Gericht in New York einklagte. Richter Thomas Griesa verurteilte daraufhin Argentinien zur Rückzahlung der Anleihen zum Nennbetrag von 1,6 Milliarden US-Dollar und – um Vollstreckungshindernisse zu umgehen – verfügte, dass Argentinien die neuen (umgeschuldeten) Anleihen erst bedienen darf, wenn die Altschulden vollständig getilgt sind. Da alle Anleihen nach amerikanischem Recht ausgegeben worden sind, laufen die Zahlungsströme über New York und können daher von den Amerikanern gesteuert werden. Die Zahlungen Argentiniens an die neuen Gläubiger werden, seit der Oberste US-Gerichtshof Argentiniens Berufungsantrag am 16.06.2014 abgewiesen und das Urteil des New Yorker Gerichts bestätigt hat, blockiert. Für Ratingagenturen gilt Argentinien seither wieder als teilweise zahlungsunfähig.

 

 

Der Schuldenstreit vor deutschen Gerichten

In Deutschland haben mehrere Anleger Argentinien auf Rückzahlung von Inhaberschuldverschreibungen verklagt, so ein Kläger hinsichtlich des Nominalbetrags nebst angefallener Zinsen für 2008 und 2009, ein anderer hinsichtlich der fälligen Zinsen für 2005. Das Amtsgericht Frankfurt a.M. hat beiden Klagen stattgegeben (Amtsgericht Frankfurt a.M., Urteil vom 02.07.2013 – 30 C 128/13 (32); Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 09.04.2013 – 30 C 2877/11 (20)), das Landgericht die Berufungen Argentiniens zurückgewiesen (Landgericht Frankfurt a.M., Urteil vom 21.03.2014 – 2-24 S 139/13; Landgericht Frankfurt a.M., Urteil vom 13.01.2014 – 2-24 S 95/13).

Hiergegen ist Argentinien jeweils in Revision gegangen. Die Begründung: Einem Schuldnerstaat, der sich in einer Finanzkrise befunden mit einer Mehrheit seiner Gläubiger eine Umstrukturierung seiner Schulden vereinbart habe, stehe ein völkerrechtlich begründetes Leistungsverweigerungsrecht gegenüber sogenannten Holdout-Gläubigern auch dann zu, wenn – wie in den streitgegenständlichen Fällen – die Anleihebedingungen entsprechende Klauseln (sogenannte „Collective Action Clauses“) nicht enthalten.

 

Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofs

Dem erteilte der Bundesgerichtshof mit zwei Urteilen vom 24.02.2015 (XI ZR 47/14 und XI ZR 193/14) nun eine klare Absage: Es gebe keine allgemeine Regel des Völkerrechts, die einen Staat gegenüber Privatpersonen berechtige, die Erfüllung fälliger privatrechtlicher Zahlungsansprüche unter Berufung auf den wegen Zahlungsunfähigkeit erklärten Staatsnotstand oder wegen einer mit der Mehrheit der Gläubiger freiwillig zustande gekommenen Umschuldung zeitweise zu verweigern. Dies hatte bereits das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 08.05.2007 (2 BvM 1/03, 2 BvM 2/03, 2 BvM 3/03, 2 BvM 4/03, 2 BvM 5/03, 2 BvM 1/06, 2 BvM 2/06, BVerfGE 118, 124) vor Vorlage Frankfurter Zivilgerichte, die gleichfalls Klagen gegen Argentinien verhandelten, entschieden: „Das Völkerrecht kennt weder ein einheitliches noch ein kodifiziertes Konkursrecht der Staaten. Zwar enthalten einzelne völkerrechtliche Abkommen allgemeine Notstandsklauseln; ob diese sich aber auf den wirtschaftlichen Notstand beziehen, ist im Einzelfall ebenso auslegungsbedürftig wie die näheren Voraussetzungen der Berufung auf den Notstand im Falle der Zahlungsunfähigkeit in völkerrechtlichen und privatrechtlichen Rechtsverhältnissen. Die Regelungen der Rechtsfolgen der Zahlungsunfähigkeit eines Staates sind damit fragmentarischer Natur und können, wenn sich die entsprechende Verfestigung anhand der völkerrechtlichen Kriterien nachweisen lässt, nur dem Völkergewohnheitsrecht oder den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zuzuordnen sein.

Dem schloss sich vorliegend der Bundesgerichtshof an und betonte, dass sich auch durch die Weltfinanzmarktkrise in den Jahren 2008 und 2009 und der sogenannten Euro-Rettungsmaßnahmen für Griechenland und Zypern eine derartige allgemeine Regel des Völkerrechts, dass sich sämtliche privaten Gläubiger eines Staates im Fall eines wirtschaftlichen und finanziellen Staatsnotstands an einer Umstrukturierung der Schulden beteiligen müssen, nicht herausgebildet habe. Damit bleibt es bei den Verurteilungen Argentiniens.

 

Gewonnen und doch leer ausgegangen?

Dieses Grundsatzurteil wird wegweisende Bedeutung auch in den Verhandlungen um einen  erneuten Schuldenschnitt für Griechenland spielen, an dem die griechische Regierung derzeit festhält.

Doch so sehr privaten Anlegern hiermit eine Sicherheit auch für den Fall des Staatsbankrotts suggeriert wird, die Vollstreckung erweist sich als äußerst schwierig. Im vorliegenden Fall hatte das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. zwar mit Beschluss vom 28.10.2002 einen dinglichen Arrest über das Vermögen Argentiniens in Höhe von 25.564,59 EUR verhängt (Aktenzeichen 8 U 52/03), eine Zwangsvollstreckung durch Eintragung einer Sicherungshypothek für ein Grundstück Argentiniens lehnte das Amtsgericht Bonn ab, da das Grundstück für diplomatische Zwecke genutzt werde. Einen für den 9. Und 10.10.2003 geplanten Besuch in Deutschland sagte der damalige Argentinische Staatspräsident Néstor Kirchner aus Angst vor einer Pfändung seines Dienstflugzeugs „Tango 01“ ab. Während des Auftritts der Staatspräsidentin Christina Fernandez de Kirchner auf der Frankfurter Buchmesse 2010 folgte ihr ständig ein Gerichtsvollzieher und als er versuchte, die Tango 01 zu pfänden, stellte sich heraus, dass Argentinien sie nur von einer privaten Gesellschaft (wohlweislich?) geleast hat. Wegen dieser Vollstreckungsschwierigkeiten haben deutsche Anleger trotz rechtskräftiger Urteile noch keine Zahlungen Argentiniens gesehen. Es geht also weiter…

 

Fazit: Wichtigkeit und Berechtigung von Kommunikation durch Mediatoren, Gremien über Grenzen hinaus – Pariser Club

Der Pariser Club ein informelles Gremium, in dem staatliche und öffentliche Gläubiger mit einem in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Schuldnerland zwecks Umschuldungsverhandlungen oder Schuldenerlass zusammentreffen. Dieser trat erstmals am 16. Mai 1956 zusammen, Grund war die Auslandsverschuldung Argentiniens. Dazu lud der damalige französische Finanzminister Pierre Pflimlin seinen argentinischen Amtskollegen zu einem Gespräch nach Paris ein. Die Idee dahinter, dass Argentinien seine Schuldenlage mit allen Gläubigerstaaten gleichzeitig besprechen sollte, damit eine Lösungsfindung möglich war. Herausgebildet hat sich, dass diese Praxis nicht nur bei den Beteiligten auf große Zustimmung stieß, sondern die Vorgehensweise auf weitere Länder ausgedehnt wurde.

Der Klub entwickelte sich zu einer Organisation mit Sitz im Französischen Finanzministerium. Hier finden regelmäßige Treffen statt, um die Schuldensituation verschiedener Länder zu besprechen, Dialogaufbau und Hilfestellung für Verhandlungen mit diesen zu führen. Hilfe durch Mediatoren, Kommunikation und Austausch in einer immer enger zusammenwachsenden globalisierten Weltwirtschaft.

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
22. Jahrgang - Nr. 1553 vom 5. März 2015 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich