Netto-Policen und die Gefahren - Dr. Thomas Schulte

Immer noch Ärger mit Netto-Policen – hört das niemals auf?

Seit Jahren sorgen sogenannte Netto-Policen für Ärger. Doch was ist das überhaupt? Die meisten Bürger wissen, dass beim Abschluss einer Versicherung oder Kapitalanlage immer eine Provision im Vertrag enthalten ist. Kündigt jemand den Vertrag, geht auch ein Teil der Provision verloren. Früher galt der Grundsatz: Die Provision teilt das Schicksal der Hauptversicherung.

Doch clevere Vertreter wie die Multi-Invest Gesellschaft für Vermögensbildung mbH haben eine Möglichkeit gefunden, dieses Problem zu umgehen: die Netto-Police. Zusätzlich zum Versicherungsvertrag wird eine separate Vertriebsvereinbarung mit dem Kunden geschlossen, in der die Kosten für die Vermittlung festgelegt sind. Diese Kosten bleiben auch bei Kündigung des Hauptvertrages bestehen, was viele Kunden (zu Recht) überrascht.

Warum sind Netto-Policen so problematisch?

  • Intransparenz: Oft werden Kunden nicht ausreichend über die getrennte Kostenregelung aufgeklärt. Viele gehen davon aus, dass bei einer Kündigung der Versicherung auch die Provisionszahlungen entfallen.
  • Zusätzliche Belastung: Im Falle einer Kündigung des Versicherungsvertrages, z.B. aufgrund finanzieller Schwierigkeiten, bleiben die Kunden auf den Kosten für die Vermittlung sitzen. Das kann zu einer erheblichen finanziellen Belastung führen.
  • Rechtliche Grauzone: Die Rechtsprechung zur Wirksamkeit von Nettopolicen ist nicht einheitlich. Es gibt zwar Entscheidungen, die die Zulässigkeit dieser Verträge bestätigen (OLG Nürnberg, Amtsgericht Köpenick), aber auch Urteile, die die Interessen der Verbraucher stärker berücksichtigen (Landgericht Karlsruhe).

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 07.02.2005 Nettopolicen grundsätzlich für zulässig erklärt. Das bedeutet aber nicht, dass Verbraucher diesen Verträgen schutzlos ausgeliefert sind, zumal diese höchstrichterliche Entscheidung umstritten war.

Das OLG Nürnberg (Az.: 3 O 1945/00, 27.03.2001) entschied, dass Vermittlungsgebührenvereinbarungen grundsätzlich zulässig sind und der Vermittler daraus auch bei Beendigung des Versicherungsvertrages Ansprüche geltend machen kann. Das Gericht begründet dies mit § 652 BGB, wonach der Maklerlohn bereits mit dem Zustandekommen des Vertrages verdient ist, unabhängig von dessen späterer Durchführung. Auch eine Unwirksamkeit aufgrund von § 9 AGB-Gesetzes wurde verneint, da die Regelung in Einklang mit § 652 BGB stehe und die Rechte des Auftraggebers sogar erweitere, indem die Vermittlungsgebührenansprüche bei einem Rücktritt vom Vertrag entfallen.

In die gleiche Richtung geht die Entscheidung des Amtsgerichts Köpenick (Az.: 10 C 352/03, 09.08.2004). Das Gericht führt aus, dass die Vermittlungsgebührenvereinbarung nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstößt und dem gesetzlichen Leitbild des Maklervertrags entspricht. Auch eine analoge Anwendung der §§ 165 ff. VVG wurde abgelehnt, da diese Vorschriften ausschließlich das Verhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer betreffen.

Demgegenüber steht die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe, welches Vermittlungsgebührenvereinbarungen für unwirksam hält. Das Gericht argumentiert, dass die Vorfälligkeit und Unverfallbarkeit der Provisionen in den ersten Vertragsjahren eine unzulässige Einschränkung der Kündigungsfreiheit des Versicherungsnehmers darstellen. Die hohe Provision in den ersten Jahren stand in keinem angemessenen Verhältnis zum Wert des Hauptgeschäfts und stelle faktisch eine unzulässige Vertragsstrafe dar. Auch wenn sich das Verbot der Kündigungsbeschränkung in § 178 VVG nur an den Versicherer richtet, sei es sachlich geboten, dieses Verbot auch auf Dritte, insbesondere auf Versicherungsvermittler, auszudehnen.

Welche Möglichkeiten haben Verbraucher?

  • Sorgfältige Prüfung der Verträge: Lesen Sie die Vermittlungsgebührenvereinbarung genau durch, bevor Sie unterschreiben. Achten Sie dabei besonders auf die Höhe der Gebühren, die Zahlungsmodalitäten und die Folgen einer Kündigung.
  • Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen: Wurden Sie nicht ausreichend über die Nett- Police aufgeklärt oder war die Beratung mangelhaft, können Sie Schadensersatzansprüche gegen den Vermittler geltend machen.
  • Anfechtung des Vertrages: In bestimmten Fällen, z.B. bei Formfehlern oder einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung, können Sie den Vertrag anfechten.

Tatsächlich gibt es eine Reihe von Einwendungen und Gegenansprüchen, die Versicherungsnehmer geltend machen können, um sich gegen die oftmals beträchtlichen Forderungen zur Zahlung von Vermittlungsgebühren zu wehren – vornehmlich dann, wenn der Versicherungsvertrag gekündigt wurde.

Im Folgenden beleuchten wir die vier wichtigsten rechtlichen Ansätze, die Verbraucher kennen sollten, um sich gegen unfaire Klauseln in Vermittlungsgebührenvereinbarungen zu wehren.

Mangelhafte Beratung und Aufklärung: Pflicht zur umfassenden Information

Die umfassende und verständliche Aufklärung des Kunden über die Konsequenzen und Bedingungen einer Nettopolice gehört zu den wichtigsten Pflichten eines Vermittlers. Diese Aufklärung muss explizit und unmissverständlich erfolgen, insbesondere was die Unabhängigkeit der Vermittlungsgebührenvereinbarung vom eigentlichen Versicherungsvertrag betrifft. In der Praxis bedeutet das, dass der Versicherungsnehmer klar und deutlich darauf hingewiesen werden muss, dass die Vermittlungsgebühr auch dann vollständig fällig wird, wenn der Versicherungsvertrag vorzeitig gekündigt wird.

Stellen Sie sich vor, Sie schließen eine solche Police ab und kündigen den Vertrag nach wenigen Monaten, weil Sie mit der Versicherung unzufrieden sind. Zu Ihrer Überraschung verlangt der Vermittler dennoch die volle Gebühr für seine Vermittlung – obwohl der Vertrag nicht mehr besteht. Falls Sie nicht eindeutig über diese Möglichkeit informiert wurden, können Sie Schadensersatzansprüche wegen mangelhafter Beratung geltend machen. Die Gerichte haben bereits in mehreren Fällen entschieden, dass eine fehlerhafte oder unzureichende Beratung zu erheblichen Schadensersatzansprüchen führen kann.

Unwirksame Klauseln in der Vermittlungsgebührenvereinbarung: Die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe

Ein weiterer Ansatz, sich gegen die Forderungen einer Vermittlungsgebühr zu wehren, liegt in der Prüfung der vertraglichen Klauseln. Das Landgericht Karlsruhe hat in einem aufsehenerregenden Fall entschieden, dass bestimmte Klauseln, die die Vorfälligkeit und Unverfallbarkeit der Provision in den ersten Vertragsjahren festlegen, unzulässig sein können. Solche Klauseln könnten als eine unzulässige Einschränkung der Kündigungsfreiheit des Versicherungsnehmers gewertet werden.

Beispielsweise könnte ein Versicherungsnehmer, der seinen Vertrag innerhalb der ersten Jahre kündigt, trotzdem zur Zahlung der vollen Vermittlungsgebühr verpflichtet werden, obwohl er von der Versicherung keinen weiteren Nutzen mehr hat. Eine solche Regelung schränkt die Freiheit des Verbrauchers, sich von unvorteilhaften Verträgen zu trennen, unzulässig ein. Es lohnt sich daher, die Verträge genau unter die Lupe zu nehmen und auf die Wirksamkeit der darin enthaltenen Klauseln zu achten. Werden solche Klauseln als unwirksam bewertet, kann dies die finanzielle Belastung erheblich mindern.

Verstoß gegen das Verbraucherkreditgesetz: Verbraucherschutz im Fokus

In bestimmten Fällen kann der Versicherungsvertrag mit einer Nettopolice als Verbraucherdarlehensvertrag eingestuft werden. Hier greift das Verbraucherkreditgesetz, welches eine Reihe von Informationspflichten und Widerrufsrechten vorschreibt. Werden diese Vorschriften nicht ordnungsgemäß eingehalten, kann der Vertrag insgesamt unwirksam sein.

Ein Beispiel: Sie haben eine Nettopolice abgeschlossen, bei der Sie die Vermittlungsgebühr in Raten zahlen. Dies könnte als Darlehensvertrag gewertet werden. Das Gesetz sieht hier umfangreiche Informationspflichten vor, wie klare Angaben über die Rückzahlung, die Zinssätze und die Gesamtkosten. Werden diese Informationen nicht korrekt bereitgestellt oder Sie nicht auf Ihr Widerrufsrecht hingewiesen, können Sie den Vertrag möglicherweise rückgängig machen. Dies wäre ein erheblicher Vorteil für den Verbraucher, der so der Verpflichtung zur Zahlung der Gebühr entgehen könnte.

Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen: ein mächtiges Instrument

Eine weitere Möglichkeit, sich gegen die Forderung der Vermittlungsgebühr zu wehren, liegt in der Aufrechnung mit eigenen Schadensersatzansprüchen. Diese Ansprüche können sich aus verschiedenen Gründen ergeben, beispielsweise aufgrund einer fehlerhaften Beratung, Verletzung von Aufklärungspflichten oder anderen Pflichtverletzungen des Vermittlers.

Nehmen wir an, Sie wurden bei der Vermittlung der Nettopolice nicht ausreichend über die finanzielle Belastung informiert, die durch die Vermittlungsgebühr auf Sie zukommt. Dadurch sehen Sie sich nun mit einer unerwartet hohen Zahlung konfrontiert. Diese fehlerhafte Beratung kann einen Schadensersatzanspruch begründen. In einem solchen Fall können Sie diesen Anspruch mit der Forderung des Vermittlers aufrechnen und so die Höhe der zu zahlenden Gebühr erheblich reduzieren oder sogar ganz abwenden.

Fazit und Lösung

Netto-Policen sind ein komplexes Thema mit rechtlichen Fallstricken. Verbraucher sollten sich der Risiken bewusst sein und sich im Zweifelsfall rechtlich beraten lassen.

Besonders wichtig ist es, dass Sie sich nicht unter Druck setzen lassen und bei Unsicherheiten den Vertrag nicht unterschreiben!

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
22. Jahrgang - Nr. 9479 vom 15. Oktober 2024 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich