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Aktuelle News

Aktuelle News 2005

Unser Rechtsstaat stellt sich manchmal selber ein Bein. Anders ist diese Geschichte, die auch heute noch möglich wäre, nicht zu verstehen. Der Gesetzgeber erteilt der Bevölkerung Hinweise, wie Gesetze ausgelegt und angewandt werden. Alle halten sich an diese Hinweise und dann kommt ein Gericht und wirft alles über den Haufen.

Pleiten, Pech und Pannen – so was

Verbraucherschützende Novellen scheinen ohne gesetzgeberische Pannen nicht möglich. Eine hat das LG Halle mit Urteil vom Mai 2005 aufgedeckt: Es hält die amtliche Musterwiderrufsbelehrung nach der BGB-Informationsverordnung für unwirksam. Die Folge: Verbraucher wurden wohl massenhaft falsch über ihre Widerrufsrechte informiert. Wer hat welche Rechte und Möglichkeiten ?

Der Hintergrund dieser Aussage bezieht sich auf eine bedeutende Entscheidung des Landgerichts Halle aus dem Jahr 2005, die erhebliche Mängel in der vom Bundesjustizministerium bereitgestellten Muster-Widerrufsbelehrung aufdeckte[2]. Diese Entscheidung hatte weitreichende Folgen für den Verbraucherschutz und die Rechtssicherheit im Bereich des Widerrufsrechts.

Kernpunkte der Entscheidung

Das Landgericht Halle entschied am 13. Mai 2005, dass die offizielle Muster-Widerrufsbelehrung, die in § 14 Abs. 1 BGB-InfoV und dessen Anlage 2 festgelegt war, rechtswidrig und nichtig sei. Die Gründe dafür waren:

1. Überschreitung der Verordnungsermächtigung: Das Gericht befand, dass das Bundesjustizministerium den Rahmen der Verordnungsermächtigung in Art. 245 EGBGB zum Nachteil des Verbrauchers überschritten hatte.

2. Unklarheit über den Fristbeginn: Die Formulierungen in der Musterbelehrung, wie „frühestens“ und „mit Erhalt dieser Belehrung“, wurden als undeutlich und irreführend eingestuft.

3. Widerspruch zu gesetzlichen Regelungen: Die Musterbelehrung stimmte nicht mit den gesetzlichen Vorgaben in §§ 355 Abs. 2 und 187 Abs. 1 BGB überein[.

Auswirkungen und Rechte

Diese Entscheidung hatte weitreichende Konsequenzen:

1. Für Verbraucher:
– Verbraucher, die mit der fehlerhaften Musterbelehrung informiert wurden, könnten möglicherweise auch nach Ablauf der regulären Frist noch von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen.
– Die Widerrufsfrist von 14 Tagen beginnt erst mit einer ordnungsgemäßen Belehrung zu laufen.

2. Für Unternehmer:
– Unternehmen, die die offizielle Musterbelehrung verwendet hatten, konnten sich nicht auf deren Gültigkeit berufen.
– Es bestand die Gefahr, dass Verträge auch lange nach ihrem Abschluss noch widerrufen werden konnten.

3. Rechtliche Konsequenzen:
– Die Entscheidung stellte die Rechtssicherheit in Frage und zeigte die Notwendigkeit einer Überarbeitung der Verbraucherinformationen auf.
– Es wurde deutlich, dass selbst offizielle Muster nicht immer rechtskonform sind und einer kritischen Prüfung unterzogen werden müssen.

Fazit

Diese Entscheidung des LG Halle verdeutlicht die Komplexität und Herausforderungen bei der Umsetzung verbraucherschützender Gesetze. Sie zeigt, dass selbst gut gemeinte Novellen und offizielle Muster Fehler enthalten können, die weitreichende Folgen für Verbraucher und Unternehmen haben. Die Entscheidung unterstreicht die Wichtigkeit einer sorgfältigen und verbraucherfreundlichen Gestaltung von Rechtsvorschriften im Bereich des Verbraucherschutzes.

Die Entscheidung des Landgerichts Halle aus dem Jahr 2005 zur fehlerhaften Muster-Widerrufsbelehrung zeigt, wie entscheidend juristische Expertise für Verbraucher und Unternehmer ist. Dr. Thomas Schulte, erfahrener Rechtsanwalt aus Berlin, hat sich auf solche komplexen Fragen des Verbraucherschutzes spezialisiert. Mit seiner umfangreichen Prozesserfahrung und seinem fundierten Wissen im Kapitalanlagenrecht unterstützt er Mandanten dabei, ihre Rechte zu verstehen und durchzusetzen. Als Experte für Verbraucherschutz analysiert er aktuelle Urteile und Gesetzesänderungen kritisch, um Betroffene gezielt beraten zu können.

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Hier der Text der Entscheidung:

Landgericht Halle
Geschäfts-Nr. 1 S 28/05
1 C 236/04 (II) Amtsgericht Sangerhausen

Verkündet am: 13.05.2005

Urteil
Im Namen des Volkes!

In dem Rechtsstreit XXX

Hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Halle auf die mündliche Verhandlung vom 29.04.2005 durch XXX
für R e c h t erkannt:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Sangerhausen vom 19.01.2005 [Az. 1 C 236/04 (II)] wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2; Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte: Sicherheit in derselben Höhe leistet.

3. Die Revision wird zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 2.664,47 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kaufpreiszahlung, Am 01.12.2003 erschien ein Mitarbeiter der Klägerin unangemeldet in der Wohnung der Beklagten und bot dieser an; bei der Klägerin eine „Lexikothek“ („Märchen der Welt, 1. Staffel“) zu bestellen. Im Verlaufe des Gesprächs mit dem Mitarbeiter der Klägerin unterzeichnete die Beklagte die Formular-„Bestell-Urkunde“, die ihr der Mitarbeiter der Klägerin – nach handschriftlicher Einfügung der betreffenden Angaben zur Art der „Lexikothek“, zum Kaufpreis (1.989,– Euro), zum voraussichtlichen Liefertermin (20.12.2003) und zur Teilzahlungsvereinbarung (Teilzahlungspreis: 2.385,– Euro) – zur Unterschrift vorgelegt hatte. Eine der vorgedruckten Regelungen zum Teilzahlungskauf lautet:

„Gerät der Käufer bei Teilzahlungskauf mit zwei aufeinanderfolgenden Monatsraten, ganz oder teilweise, mindestens mit 10% des Kaufpreises des übergebenen Systems in Verzug, so wird der Restkaufpreis sofort fällig.“

In einem grau unterlegten, von dem übrigen Text (der in schwarzen Lettern auf weißem Untergrund abgedruckt ist) abgesetzten Feld unterhalb der Unterschriftsleiste heißt es:

„Der Käufer kann die Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) oder durch, Rücksendung der Sache widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs oder der Sache. Der Widerruf ist zu richten an: XXX

Wegen des weiteren Inhalts der „Bestell-Urkunde“ wird auf Blatt 5 und 25 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Der Beklagten gingen die bestellten Bücher am 19.12.2003 oder 20.12.2003, der genaue Zeitpunkt ist streitig, zu. Unstreitig gab die Beklagte die Bücher am 20.12.2003 bei einer Filiale der Deutschen Post AG zur Rücksendung an die Klägerin auf.
Nachdem die Beklagte weder die in dem Bestellformular vereinbarte Anzahlung noch die vereinbarten Raten gezahlt und auch auf eine unter Fristsetzung ausgesprochene Zahlungsaufforderung der Klägerin nicht reagiert hatte, kündigte die Klägerin mit der Klageschrift vom 01.06.2004 die TeilzahIungsvereinbarung. Die Klägerin verlangt mit der Klage die Zahlung des Teilzahlungspreises in Höhe von 2.385,– Euro sowie Ersatz von durch die Beklagte nach Grund und Höhe bestrittenen Inkassokosten in Höhe von 261,50 Euro, Kontoführungsgebühren in Höhe von 8,69 Euro, Schuldnerdateiauskunftsgebühren in Höhe von 1,30 Euro sowie Mahnkosten in Höhe von 7,98 Euro.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, sie habe den Anforderungen des BGB an den Inhalt der Widerrufsbelehrung genügt, weil die in der „Bestell-Urkunde“ vorformulierte Belehrung dem Muster in der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 der Verordnung über lnformations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht (BGB-lnformationspflichten-Verordnung- BGB-lnfoV) entspreche. Die Rücksendung der Bücher am 20.12.2003 sei demnach nicht innerhalb der zweiwöchigen Widerrufsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB erfolgt, die nach Klägerauffassung mit Ablauf des 01.12.2003 zu laufen begann.

Die Klägerin hat beantragt,

1.) die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.385,– Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz sei dem 27.05.2004, 261,50 Euro Inkassokosten, 8,69 Euro Kontoführungsgebühren, 1,30 Euro Auskunftskosten und 7,98 Euro Mahnkosten zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe des Werkes „Märchen der Welt, 1. Staffel“,

2.) festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der im Klageantrag zu 1.) bezeichneten Bücher im Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Mitarbeiter der Klägerin habe ihr im Verlaufe des Verkaufsgesprächs vom 01.12.2003 zugesichert, dass sie die Bücher zunächst „testen“ und bei Nichtgefallen binnen einer Frist von zwei Wochen ab Zugang der Bücher wieder zurücksenden könne. Daher sei die Rücksendung unabhängig von den gesetzlichen Widerrufsregelungen rechtzeitig erfolgt. Im Übrigen hat sie die Auffassung vertreten, es komme für den Fristbeginn nicht auf den Tag der Aushändigung einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung an, sondern es sei in dem hier vorliegenden Fall eines Haustürgeschäfts über die Lieferung von Waren nach § 355 Abs. 3 Satz 2 BGB der Tag des Eingangs der Ware beim Empfänger für den Fristbeginn maßgebend. Daher sei die Rücksendung der ihr nach Beklagtenbehauptung erst am 20.12.2003 zugegangenen Bücher am selben Tage fristgerecht erfolgt. Zuletzt ist die Beklagte der Ansicht gewesen, dass unabhängig von der Frage einer Zusicherung des Mitarbeiters der Klägerin und unabhängig von der Maßgeblichkeit des Eingangs der Waren für den Fristbeginn der Widerruf deshalb fristgemäß erfolgt sei, weil die Widerrufsbelehrung drucktechnisch nicht hinreichend deutlich gestaltet sei.

Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, mit der Rücksendung der Bücher am 20.12.2003 sei ein fristgerechter Widerruf erfolgt, weil – in Übereinstimmung mit der Rechtsansicht der Beklagten – bei Haustürgeschäften über die Lieferung von Waren nach § 355 Abs. 3 Satz 2 BGB der Tag des Eingangs der Waren beim Verbraucher für den Fristbeginn ausschlaggebend sei. Aber auch unabhängig davon sei der in der Rücksendung liegende Widerruf der Beklagten nicht verfristet gewesen, weil die Widerrufsbelehrung nicht den gesetzlichen Anforderungen des BGB genüge, und zwar ungeachtet dessen, dass der Wortlaut der Belehrung dem Muster in Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV entspreche. Aus dem Text der Musterwiderrufsbelehrung gehe nicht zweifelsfrei der genaue Beginn der Widerrufsfrist hervor, so dass der Verbraucher nicht in die Lage versetzt werde, von seinem Widerrufs recht uneingeschränkt Gebrauch zu machen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Unter Aufrechterhaltung ihrer in erster Instanz vertretenen Rechtsansicht verweist sie darauf, dass § 355 Abs. 3 Satz 2 BGB aus systematischen Gründen nicht auf die den Fristbeginn regelnden Vorschriften in § 355 Abs. 2 BGB bezogen sei. In § 355 Abs. 3 BGB gehe es um das Erlöschen der Widerrufsfrist und nicht um .deren Beginn. Im Übrigen spreche gegen eine Anwendbarkeit des § 355 Abs. 3 Satz 2 BGB, dass der Gesetzgeber für Haustürgeschäfte keine dem § 312 d Abs.2 BGB entsprechende Vorschrift geschaffen habe. Zuletzt diene § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV der Rechtssicherheit des Unternehmers, was kontakariert werde, wenn man – wie das Amtsgericht – die Ordnungsgemäßheit der Widerrufsbelehrung mit der Begründung verneine, das in § 14 Abs. 1 BGB für ordnungsgemäß erklärte Widerrufsmuster genüge nicht den Anforderungen des BGB an eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung.

Die Klägerin beantragt,

1.) die Beklagte unter Abänderung des am 19.01.2005 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Sangerhausen [Az. 1 C 236/04 (II)] zu verurteilen, an sie 2.385,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.05.2004, 261,50 Euro Inkassokosten, 8,69 Euro Kontoführungsgebühren, 1,30 Euro Auskunftskosten und 7,98 Euro Mahnkosten zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe des Werkes „Märchen der Welt, 1. Staffel“,

2.) festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der im Antrag zu 1.) näher bezeichneten Bücher im Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet Der Klägerin stehen gegenüber der Beklagten der geltend gemachte Kaufpreiszahlungsanspruch und der Anspruch auf Ersatz von Rechtsverfolgungskosten nicht zu, weil die Beklagte ihre Vertragserklärung vom 01.12.2003 durch (Rück-)Absendung der gelieferten Bücher am 20.12.2003 nach §§ 312 Abs. 1 Satz 1, 355 Abs. 1 BGB wirksam widerrufen hat. Dabei kann dahinstehen, ob für den Beginn der Widerrufsfrist die Regelung des § 355 Abs. 3 Satz 2 BGB und damit der Zeitpunkt des Eingangs der Bücher bei der Beklagten maßgebend ist und ob diese Vorschrift die Regelungen zum Fristbeginn in §355 Abs. 2 Sätze 1 und 3 BGB immer dann modifiziert, wenn es sich bei dem Haustürgeschäft – wie hier – um ein Warenlieferungsgeschäft handelt (dies bejahend: Staudinger/Kaiser, Neubearbeitung 2004, § 355 BGB, Rdn, 54; verneinend: LG Dortmund, NJW 2003, 3355; Martis/Meinhof, MDR 2004, 4, 9; Palandt/Heinrichs, 64. Aufl. 2005, § 355 BGB, Rdn. 12). Selbst wenn man dies entgegen der Rechtsansicht des Amtsgerichts verneinte, wozu die Kammer nicht nur wegen der systematischen Einbettung des § 355 Abs. 3 Satz 2 BGB in den allein das Erlöschen der Widerrufsfrist regelnden § 355 Abs. 3 BGB neigt und wofür auch der Gegenschluss aus § 312 d Abs. 2 BGB spricht, wäre der mit der (Rück- )Absendung der Bücher am 20.12.2003 erfolgte Widerruf nicht verspätet erfolgt. Denn die Klägerin hatte die Beklagte nicht i.S.v. § 355 Abs. 2 BGB ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt, so dass die Zwei-Wochen-Frist des § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB noch nicht in Gang gesetzt war, als die Beklagte die Bücher am 20.12.2003 bei einer Filiale der Deutschen Post AG einlieferte. Zwar entspricht die von der Klägerin verwendete, entgegen der Beklagtenauffassung drucktechnisch hinreichend klar gestaltete Belehrung dem Muster in der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 der Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach Bürgerlichem Recht (BGB-Informationspflichten-Verordnung – BGB-lnfoV). Weil § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV und dessen Anlage 2 allerdings – zum Nachteil des Verbrauchers – nicht mit den gesetzlichen Regelungen in §§ 355 Abs. 2, 187 Abs. 1 BGB übereinstimmen und damit den Rahmen der Verordnungsermächtigung in Art. 245 EGBGB überschreiten; ist § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV einschließlich seiner Anlage 2 rechtswidrig und mangels hinreichender Verordnungsermächtigung nichtig. Das wiederum hat zur Folge, dass die Klägerin sich nicht darauf berufen kann, die in der „Bestell-Urkunde“ vom 01.12.2003 erfolgte Widerrufsbelehrung genüge nach § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV den gesetzlichen Anforderungen an den Inhalt der Widerrufsbelehrung. Vielmehr ist die Frage der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit der Belehrung an den gesetzlichen Vorgaben selbst zu messen. Denen genügt die von der Klägerin verwendete Belehrung nicht.

Im Einzelnen:

1.
§ 14 Abs. 1 BGB-lnfoV und seine Anlage 2 sind unwirksam. Denn sie bewegen sich nicht in den Grenzen der Verordnungsermächtigung in Art. 245 EGBGB. Art. 245 Nr. 1 EGBGB ermächtigt das Bundesministerium der Justiz, durch Rechtsverordnung Inhalt und Gestaltung

„der dem Verbraucher gemäß § 355 Abs. 2 Satz 1, § 356 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und den diese ergänzenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches mitzuteilenden Belehrung über das Widerrufs- und Rückgaberecht festzulegen“.

Im Ausgangspunkt teilt die Kammer die Einschätzung von Bodendiek (MDR 2003, 1, 3), der meint, die Verordnungsermächtigung impliziere, dass der Verordnungsgeber im Hinblick auf die Vielzahl an denkbaren Konstellationen im Bereich der Verbraucherverträge eine typisierte Musterwiderrufsbelehrung im Interesse der Rechtssicherheit des Unternehmers entwickeln sollte und durfte. Die Grenze wird aber dadurch gezogen, dass die Verordnungsermächtigung ausdrücklich dazu ermächtigt, den Inhalt „der dem Verbraucher gemäß § 355 Abs. 2 Satz 1 (…) mitzuteilenden Belehrung“ festzulegen. Eine dem Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügende, nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte Verordnungsermächtigung ist Art. 245 Nr. 1 EGBGB nur dann, wenn man – wie die Kammer es tut – diese Bezugnahme auf § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB so versteht, dass der Verordnungsgeber (nur) ermächtigt war, den Inhalt einer Belehrung festzulegen, die geeignet ist, dem Verbraucher i.S.v. § 355 Abs.2 Satz 1 BGB

„seine Rechte deutlich“

zu machen. Mit anderen Worten: Legt man Art. 245 EGBGB im Lichte des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG so aus, dass Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung hinreichend bestimmt sind, so ermächtigt diese EGBGB-Regelung (nur) zu einer solchen Festlegung des Inhalts der Widerrufsbelehrung, die sich in den Grenzen der gesetzlichen Vorgaben hält und insbesondere der Grundanforderung des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB genügt, wonach dem Verbraucher eine Belehrung mitzuteilen ist, die ihm „seine Rechte deutlich macht“. Im Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit für den Unternehmer und Verbraucherschutz überschreitet jede von Bodendiek beschönigend als „Unschärfe“ angesprochene, den Verbraucher benachteiligende Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben in § 355 Abs. 2 BGB und den diesen „ergänzenden Vorschriften“ (vgl. § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV) diese vorstehend dargestellte Grenze der Verordnungsermächtigung. Derlei Abweichungen existieren mehrere:

a)
So spricht das Muster in der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InvoV davon, die Frist beginne „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“, was nach § 187 Abs. 1 BGB, der zu den § 355 As. 2 BGB „ergänzende Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches“ i.S.d. § 14 Abs. 1 BGB-InfoV zählt, unrichtig ist (Palandt/Heinrichs, 64. Aufl. 2005, § 14 BGB-InfoV, Rdn. 5). Die Widerrufsfrist beginnt frühestens am Tag nach Erhalt der Belehrung (vgl. auch: BGHZ 126, 56).

b)
Es genügt auch nicht der Verordnungsermächtigung, wonach der Verordnungsgeber den Inhalt einer dem Verbraucher „seine Rechte deutlich“ machenden Belehrung festlegen sollen, wenn nach dem Inhalt des Belehrungsmusters die Widerrufsfrist „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ beginnt. Diese Formulierung macht dem Verbraucher nicht seine Rechte „deutlich“ (§ 355 Abs. 2 Satz 1 BGB), sondern ist für den rechtlichen Laien undeutlich. Dem Verbraucher wird nicht hinreichend klar, dass und unter welchen Voraussetzungen er möglicherweise auch weit jenseits von zwei Wochen nach Erhalt der Widerrufsbelehrung die Möglichkeit hat, von seinem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen (so zutreffend auch: Masuch, NJW 2002, 2931, 2932; MüKo/Ulmer 4. Aufl. 2003, § 355 BGB, Rdnrn. 45, 52).

c)
Bei einem schriftlich abzuschließenden Vertrag (§ 492 Abs. 1 Satz 1 BGB) weicht das Muster auch insofern zum Nachteil des Verbrauchers von den gesetzlichen Vorgaben ab, als § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB keine Berücksichtigung findet. Danach beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen, bevor dem Verbraucher auch eine Vertragsurkunde, der schriftliche Antrag des Verbrauchers oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Antrages zur Verfügung gestellt werden (Palandt/Heinrichs, 64. Aufl. 2005, § 14 BGB-InfoV, Rdn.5).

Weil sich Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV zum Nachteil des Verbrauchers nicht in den Grenzen der Verordnungsermächtigung (Art. 245 EGBGB) hält, ist die BGB-lnfoV insoweit nichtig (allgemein zur Rechtsfolge der Überschreitung der Rechtsverordnung über die Grenzen der Ermächtigung hinaus: BVerfGE 13, 248, 255 ff.; 31, 145, 176 f.; 42, 374, 387 f.; 58, 68, 79). Das hat zur Folge, dass sich die Klägerin nicht darauf berufen kann; sie habe eine der BGB-lnfoV genügende Widerrufsbelehrung verwendet, für die nach § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV die Vermutung der Ordnungsgemäßheit streite. Die Frage der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit der Belehrung ist – mangels .Wirksamkeit des § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV und der Anlage 2 – an den gesetzlichen Vorgaben selbst zu messen. Denen genügt die von der Klägerin verwendete Belehrung nicht, weil die Beklagte nicht i.S.v. § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB „deutlich“ über den Zeitpunkt des Beginns der Widerrufsfrist belehrt wurde („frühestens“; „mit Erhalt dieser Belehrung“). Die Formulierung „frühestens“ ist – unabhängig von der Frage, ob § 355.Abs. 3 Satz 2 BGB die Regelungen zum Fristbeginn in § 355 Abs. 2 Sätze 1 und 3 BGB bei Warenlieferungshaustürgeschäften modifiziert – undeutlich, denn der juristische Laie weiß nicht, wann in seinem konkreten Fall die Frist zu laufen beginnt, ob ein Fall des frühestmöglichen Beginns vorliegt oder ein Fall, in dem die Frist erst später zu laufen beginnt. Im Übrigen ist die Formulierung „mit Erhalt dieser Belehrung“ aus den o.g. Gründen irreführend. Genügte die Widerrufsbelehrung durch die Klägerin demnach nicht der Grundanforderung des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB, wonach die Belehrung so gestaltet sein muss, dass sie dem Verbraucher „seine Rechte deutlich macht“, so konnte sie nicht den Lauf der Zwei-Wochen-Frist des § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB in Gang setzen, so dass die Beklagte auch dann noch wirksam ihre Vertragserklärung durch (Rück-)Absendung der Bücher am 20.12.2003 widerrufen konnte, wenn man entgegen der Rechtsansicht des Amtsgerichts und mit der Klägerin der Auffassung wäre, dass § 355 Abs. 3 Satz 2 BGB in der Frage des Fristbeginns bei Haustürwarenlieferungsverträgen nicht einschlägig ist.

2.
Die im Übrigen zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Regionalverkaufsleiter der. Klägerin in dem Gespräch vom 01.12.2003 zusicherte, die Beklagte könne die Bücher zunächst nach Erhalt „testen“ und bei Nichtgefallen binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zugang der Lieferung wieder zurücksenden, kann nach alledem offen bleiben. Selbst wenn eine solche Zusicherung nicht erfolgt wäre, hätte die Beklagte ihre Kaufvertragserklärung wirksam widerrufen.

3.
Die Revision war gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache in der Frage der Wirksamkeit des § 14 Abs. 1 BGB-lnfoV und seiner Anlage 2 grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich ist (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 Satz 1, 711 Satz 1 ZPO.

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
23. Jahrgang - Nr. 322 vom 18. September 2007 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich