Hilfe, ich muss zum Bund! – Oder nicht? Das war ein großes Thema und heute ist es nur noch Rechtsgeschichte
Wehrpflicht und Wehrgerechtigkeit
Nach Artikel 12a des Grundgesetzes hat der Gesetzgeber das Recht, Männer ab dem vollendeten 18. Lebensjahr der allgemeinen Wehrpflicht zu unterwerfen. Nach § 1 Absatz 1 des Wehrpflichtgesetzes (WPflG) sind alle Männer ab 18 Jahren zum Wehrdienst verpflichtet, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind und ihren ständigen Aufenthaltsort in Deutschland haben oder hatten, einen deutschen Pass oder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder sich auf andere Weise dem Schutz der Bundesrepublik Deutschland unterstellt haben.
Die Wehrpflicht wird durch den Grundwehrdienst oder den Zivildienst gemäß § 1 des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes erfüllt, die Dauer beträgt jeweils neun Monate. Somit verlieren Studenten mindestens zwei Semester und auch Arbeitgeber werden nicht so lange warten wollen – in der Regel ist also ein ganzes Berufsjahr verloren. Denn ein fester Job ist im Gegensatz zu einem Ausbildungsplatz keineswegs ein sicherer Frei- bzw. Zurückstellungsgrund. Es liegt schon eine gewisse Ironie darin, dass für Arbeitslose sogar ein geringeres Risiko besteht, überhaupt gemustert zu werden – auch die Bundeswehr bevorzugt gut ausgebildete Fachkräfte.
Tatsächlich scheint die Einberufungspraxis in Anbetracht der Tatsache, dass immer weniger junge Männer eines Jahrgangs einberufen werden, zunehmend willkürlich – im Jahr 2000 leisteten noch rund 150.000 junge Männer den Grundwehrdienst, 2007 waren es weniger als 60.000. Mehr als 20 % jedes Jahrgangs werden nicht einmal mehr gemustert.
Zunehmend wird daher in Frage gestellt, ob der Grundsatz der Wehrgerechtigkeit noch erfüllt ist. Wehrgerechtigkeit meint, dass die „Last“ des Wehrdienstes gleichmäßig auf allen (tauglichen) Schultern verteilt wird, also möglichst viele als tauglich eingestufte junge Männer im Alter zwischen 18 und 23 bzw. 25 Jahren auch eingezogen werden – sei es zum Wehr- oder auch zum Zivildienst. Wehrgerechtigkeit ist die verfassungsrechtlich notwendige Voraussetzung für die Grundrechtsreinschränkung, die die Wehrpflicht dem Einzelnen gegenüber beinhaltet. Entsprechende Klagen von Wehrpflichtigen gegen ihre Einberufung gibt es bereits, bisher allerdings hat das Bundesverfassungsgericht immer noch Wehrgerechtigkeit festgestellt, so dass das Interesse des Einzelnen „gegenüber dem staatlichen Vollzugsinteresse“ zurückzutreten habe.
Erfahrungsgemäß wollen die meisten Betroffenen ohnehin weder einen verfassungsrechtlich noch einen moralisch oder politisch motivierten Musterprozess führen, sondern schlicht einer Zwangsrekrutierung entgehen. Sie weigern sich, eine Verschlechterung ihrer beruflichen Möglichkeiten durch den staatlichen Wehr- oder Zivildienst einfach so hinzunehmen. Und ihre Chancen, dem Wehrdienst zu entgehen, stehen besser als die meisten glauben.
Altersgrenzen und Untauglichkeit
Der Gesetzgeber hatte im Jahr 2004 auf den sinkenden Bedarf an Wehrdienstleistenden reagiert und die Regelungen zur Einberufung geändert. So ist im Falle einer Frei- oder Zurückstellung eine Einberufung noch bis zum 25. Lebensjahr möglich, wenn der entsprechende Grund entfällt, seit dem 1. Juli 2004 aber werden bei der Musterung nur noch unverheiratete und als T1 (voll tauglich) und T2 (tauglich mit kleinen Einschränkungen) gemusterte junge Männer bis zum vollendeten 23. Lebensjahr einberufen. Im Wehrpflichtgesetz ist zudem eine ganze Reihe von Ausnahmen vom Wehrdienst geregelt, wobei zwischen Ausschluss vom Wehrdienst, etwa wegen Straffälligkeit oder einer schweren psychischen Erkrankung, Freistellung und Zurückstellung unterschieden wird.
Polizei-, Ersatz- und Militärdienst, Ehe, elterliche Sorge und andere Freistellungsgründe
Polizeibeamte sind grundsätzlich von der Wehrpflicht ausgenommen. Sofern das Dienstverhältnis nicht vor Ablauf der Wehrpflichtigkeit beendet wird, gilt die Wehrpflicht mit Eintritt in den Polizeidienst als abgegolten.
Vom Grundwehrdienst freigestellt werden auch junge Männer, die einen Ersatzdienst ableisten. Die Pflicht zum Grundwehrdienst gilt als abgeleistet, wenn vor dem 30.Lebensjahr entweder ein zweijähriger Entwicklungsdienst oder ein sechsjähriger Ersatzdienst im Zivil- oder Katastrophenschutz geleistet wurden, etwa bei der Freiwilligen Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk oder einer Hilfsorganisation wie dem Deutschen Roten Kreuz, der Johanniter Unfallhilfe oder dem Malteser Hilfsdienst. Auch Geistliche und Diakone sind von der Wehrpflicht befreit und junge Männer, die sich auf ein geistliches Amt vorbereiten, werden auf Antrag zurückgestellt.
Wehrpflichtige können sich vom Wehrdienst befreien lassen, wenn mindestens zwei Geschwister ein ziviles oder militärisches Dienstjahr geleistet haben. Auch Männer, die bereits in der Armee eines anderen Landes Wehr- bzw. Militärdienst geleistet haben, werden nicht mehr zum Grundwehrdienst in der Bundeswehr herangezogen.
Auf Antrag werden Wehrpflichtige vom Wehrdienst freigestellt, deren „Vater, Mutter, Bruder oder Schwester an den Folgen einer Wehr- oder Zivildienstbeschädigung verstorben ist“. Auch Nachfahren von Personen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, müssen bis in die dritte Generation keinen Wehrdienst ableisten.
Verheirate oder in einer eingetragenen eheähnlichen Gemeinschaft lebende Männer sowie junge Väter, die das gemeinsame oder alleinige Sorgerecht für mindestens ein Kind haben, werden seit 2004 ebenfalls nicht mehr einberufen.
Familiäre, soziale oder berufliche Gründe für eine Zurückstellung
Im Gegensatz zu einer Freistellung ist eine Zurückstellung grundsätzlich zeitlich befristet. So werden Wehrpflichtige, die bereits eine Ausbildung begonnen oder einen Ausbildungsvertrag unterschrieben haben, auf Antrag für die Dauer der Ausbildung zurückzustellen. Wehrpflichtige, die ein politisches Mandat in Landtag, Bundestag oder Europäischem Parlament haben, werden für die Dauer des Mandats nur auf ihren Antrag einberufen. Darüber hinaus bietet § 12 Absatz 4 WPflG verschiedene Möglichkeiten einer Zurückstellung aufgrund von unzumutbarer Härte im persönlichen Bereich, insbesondere in häuslicher, wirtschaftlicher oder beruflicher Hinsicht.
Eine unzumutbare Härte wird beispielsweise angenommen, wenn im Falle der Einberufung des Wehrpflichtigen die Versorgung der Familie, hilfsbedürftiger Angehöriger oder anderer hilfsbedürftiger Personen, für die der Wehrpflichtige entweder aus rechtlichen oder aus sittlichen Gründen verantwortlich ist, gefährdet scheint – insbesondere wenn für Verwandte ersten Grades „besondere Notstände“ zu erwarten sind.
Eine unzumutbare Härte liegt neben solchen familiären und sozialen Gründen auch vor, wenn der Wehrpflichtige für die Fortführung eines eigenen oder des elterlichen Betriebes unentbehrlich ist. Laut Bundesverfassungsgericht gilt dies unter Umständen auch dann, wenn der Betrieb nur nebenberuflich von dem Wehrpflichtigen geführt wird (NVwZ-RR 1995,402). Geschützt sind in diesem Zusammenhang alle Arten von Betrieben einschließlich der „freien Berufe“.
Müsste der Wehrpflichtige eine bereits begonnene schulische oder betriebliche Ausbildung unterbrechen, so ist er für die Dauer der Ausbildung vom Wehrdienst freizustellen. Für Studierende gilt dies nur, wenn sie bei Antritt des Wehrdienstes mindestens im dritten Semester wären. Im Falle einer Berufsausbildung genügt für eine Zurückstellung dagegen bereits eine vorhandene vertragliche Verpflichtung bzw. eine rechtsverbindliche Zusage.
Kein Zurückstellungsgrund hingegen ist eine feste Arbeitsstelle. Möglich ist aber gegebenenfalls eine Stellung als unabkömmlich. Kirchen, Religionsgemeinschaften und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts können für ihre Bediensteten eine Freistellung wegen Unabkömmlichkeit (§ 13 WPflG) vorschlagen, die endgültige Entscheidung liegt bei der Wehrersatzbehörde.
Frei- und Zurückstellungsgründe sind grundsätzlich bis zum Abschluss der Musterung geltend zu machen. Treten sie später ein, ist ein Antrag erforderlich, der jederzeit gestellt werden kann. Die Einhaltung einer Frist ist nicht mehr erforderlich. In Fällen der Zurückstellung nach § 12 Absatz 4 Wehrpflichtgesetz ist bei Wegfall des Grundes eine Einberufung bis zum 25. Lebensjahr möglich.
Fazit
Insgesamt gibt es genügend anerkannte Gründe für eine legale Frei- bzw. Zurückstellung vom Wehrdienst, so dass niemand in Anbetracht des Musterungsbescheides in Panik verfallen muss. Gegen den Musterungsbescheid, den Einberufungsbescheid und die Ablehnung eines Antrags auf Zurückstellung kann zunächst innerhalb einer zweiwöchigen Frist seit Bekanntgabe des Bescheides Widerspruch eingelegt werden. Weiterhin kann vor dem Verwaltungsgericht gegen die Bescheide geklagt werden. In Eilfällen ist eine einstweilige Anordnung möglich. Die Erfahrung zeigt, dass den meisten Betroffenen, die sich gegen eine staatlich verordnete Verschlechterung ihrer beruflichen Möglichkeiten wehren wollen, schnell und stressfrei geholfen werden kann. Dabei soll aber nicht das Recht gebrochen, sondern nur genutzt werden. Aus Erfahrung weiß der Autor, dass es gerade Leistungsträger der Gesellschaft sind, die sich der Wichtigkeit der Lebenszeit bekannt sind und die daher versuchen sinnlose Leerzeiten zu vermeiden.
Der Autor Dr. Thomas Schulte ist Rechtsanwalt in Berlin und konnte im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit hunderten jungen Männern in diesem Bereich erfolgreich helfen.
Dr. Thomas Schulte
Rechtsanwalt