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Der Zugang zum Girokonto für Jedermann

Die Banken und Sparkassen in Deutschland haben eine bevorzugte Zielgruppe, nämlich die Personen, die Geld haben oder zumindest genügend Geld verdienen, um Verbindlichkeiten jedenfalls mittelfristig zurückzuzahlen. Dieser Klientel gewährt die Bank selbstverständlich gerne einen Kredit und auch ein Girokonto inklusive Einräumung von Überziehungskredit und Ausgabe von entsprechenden Bank- und Kreditkarten.

Schwerer haben es da schon Personen, die sich in der Vorbereitung der privaten Insolvenz befinden oder deren SCHUFA-Auskunft negativ ausfällt. Oftmals wird diesen Personen das bestehende Girokonto gekündigt. Eine Weiterführung des Kontos als so genanntes Guthabenkonto lehnen die Banken regelmäßig ebenfalls ab. Dies ist jedoch rechtlich höchst fragwürdig.

Hintergrund des Problems sind die ZKA-Empfehlungen, die der Zentrale Kreditausschuss im Juni 1995 herausgegeben hat. Hiernach soll bei den Banken und Sparkassen die Verpflichtung bestehen, ein so genanntes „Girokonto für Jedermann“ bereit zu halten. Die Banken und Sparkassen haben sich in einer Selbstverpflichtung den ZKA-Empfehlungen angeschlossen, um einer gesetzlichen Regelung durch den Bundesgesetzgeber in diesem Bereich zu entgehen. Die Rechtspraxis zeigt jedoch, dass die Selbstverpflichtung der Banken keineswegs die gleiche rechtliche Wirkung hat, wie dies bei einem gesetzlich festgelegten sog. „Kontrahierungszwang“, also der Pflicht einen Vertrag mit dem Kunden abzuschließen, der Fall wäre.

Vielmehr lehnen viele Banken die Gewährung eines „Girokontos für Jedermann“ ab, da es nicht genügend Erträge bringt und für die Bank damit nur Kosten verursacht. Daher stellt sich der kontolose Hilfesuchende die Frage, wie er an ein neues Konto, das für den geschäftlichen Verkehr nahezu unerlässlich ist, gelangen kann.

In der Rechtswissenschaft wird der Anspruch auf ein Girokonto auf Guthabenbasis über verschiedene Wege hergeleitet. Derleder sieht die Anspruchsgrundlage auf Abschluss des Girovertrages unmittelbar in der Selbstverpflichtungserklärung der Banken, bei der es sich um eine verbindliche Willenserklärung handeln würde (vgl. EWiR 2003, 963). Aus dieser kann der begünstigte Personenkreis somit aus Sicht Derleders gemäß § 328 BGB sodann unmittelbare Rechte für sich herleiten.

Eine andere Herleitung nimmt Kohte in VuR 2005, 352 ff. vor. Er vertritt die Ansicht, dass die öffentliche Erklärung des Kreditinstitutes, die Empfehlung zum „Girokonto für Jedermann“ sei für das Institut verbindlich, nicht eine einfache Willenserklärung oder eine unverbindliche Anpreisung, eine sog „invitatio ad offerendum“, sondern ein Angebot darstelle, dass der jeweilige Kunde einfach nur annehmen müsse. Tue er dies, komme ein direkter Vertrag zwischen dem Kunden und dem Kreditinstitut zustande.

Die Kreditinstitute folgen diesen Auffassungen jedoch nicht und lehnen weiterhin den Vertragsabschluss ab. Dieses hat unter anderem zu Entscheidungen des Landgerichts Berlin vom 24.04.2003, Az: 21 S 1/03 (WM 2003, 1895) und des Landgerichts Bremen vom 16.06.2005, Az: 2 O 408/05 (ZIP 2005, 1823) geführt.

Das Landgericht Berlin führt in seiner Entscheidung wie folgt aus:

„Die ZKA-Empfehlung begründet einen unmittelbaren Anspruch des Klägers. Die Selbstverpflichtung der Sparkasse begründet nicht alleine eine Verpflichtung gegenüber der Senatsverwaltung, sondern räumt darüber hinaus auch dem Kläger ein unmittelbares Recht ein. Dies ergibt sich aus Inhalt und Zweck der Selbstverpflichtung. Diese sollte nicht allein dem Zweck dienen, sicher zu stellen, dass staatliche Leistungen an deren Empfänger überwiesen werden können, wie sich bereits daraus ergibt, dass sich die Selbstverpflichtung nicht allein auf Empfänger solcher Leistungen bezieht. Vielmehr besteht der Zweck der Selbstverpflichtung allgemeiner darin, Menschen mit schlechten Einkommens- und Vermögensverhältnissen die Führung eines Girokontos auf Guthabenbasis zu ermöglichen, das im Rahmen moderner Daseinsvorsoge nahezu unentbehrlich ist (so genanntes Girokonto für „Jedermann“). Die Form der Selbstverpflichtung tritt dabei an die Stelle einer gesetzlichen Regelung (vgl. auch Unterrichtung durch die Bundesregierung vom 09.06.2000, BT-Drucksache, 14/3611). Die Durchsetzbarkeit dieses Zwecks der Selbstverpflichtung gebietet es, ein unmittelbar durch den Bankkunden einklagbaren Anspruch einzuräumen.“

Dieser Auffassung ist unter anderem das Amtsgericht Stuttgart mit Urteil vom 22.06.2005, Az: 14 C 2988/05 (WM 2005, 2139) entgegengetreten. Das Gericht führt aus:

„Es ist nicht nachvollziehbar, wie sich aus einer freiwilligen Selbstverpflichtung ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch des einzelnen auf Eröffnung bzw. Führung eines Girokontos ergeben soll. Aus dem Zweck der Selbstverpflichtung kann entgegen der Meinung des Landgerichts Berlin in seinem Urteil vom 24.04.2003 (21 S 1/03) noch nicht ein Individualanspruch konstruiert werden. Abgesehen davon betrifft die Entscheidung des Landgerichts eine Sparkasse, bei der hinsichtlich des Kontrahierungszwanges andere Kriterien gelten als für die Beklagte [Deutsche Postbank AG].“–

(Zusatz in Klammern durch den Verfasser)

Es lässt sich somit festhalten, dass der Anspruch auf das „Girokonto für Jedermann“ wohl regional von den Gerichten unterschiedlich bewertet wird. Eine einheitliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder der Obergerichte besteht hier noch nicht. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Banken in den erstinstanzlichen Verfahren schneller nachgeben, als dies zunächst erwartet wird. Des Weiteren kann auch die mangelnde Klagebereitschaft der sowieso schon finanziell nicht gut aufgestellten Klientel, die hier klagebefugt wäre, eine entscheidende Rolle dahingehend spielen, dass noch wenige Urteile in diesem Bereich ergangen sind.

Die Berliner Gerichte scheinen hier zumindest gewillt zu sein, dem Kontosuchenden zu seinem Recht zu verhelfen.

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
23. Jahrgang - Nr. 134 vom 29. Juni 2007 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich