Europa

Europa: Grundidee der Einheit in Vielfalt – Brexit und nun?

Jeder weiß, Großbritannien scheidet kurzfristig aus der Europäischen Union aus, wenn es nach dem Willen der amtierenden Regierung geht!

Der Austritt wirft Fragen auf und verunsichert:

1. Ist der Austritt gleichzeitig das Ende der Freizügigkeit für EU-Bürger, sich in Europa ohne besondere Hürden niederlassen zu dürfen, weil sie darauf einen Anspruch haben (hatten)?

Vieles spricht dafür, dass die Niederlassungsfreiheit für EU-Bürger massiv eingeschränkt und dafür nach komplizierten -einseitig britischen- Regeln ablaufen wird!

2. Hat das britische Insolvenzrecht bald keine schuldbefreiende Wirkung mehr für dort lebende EU-Bürger in deren Heimatland, gegebenenfalls im Zusammenhang mit einer eventuellen späteren Rückkehr in die Heimat?

Die schuldbefreiende Wirkung einer britischen Insolvenzentscheidung für das gesamte Territorium der EU und damit auch für das Heimatland des in Großbritannien lebenden EU-Ausländers basiert auf dem Prinzip der gegen- bzw. wechselseitigen Anerkennung von rechtlichen Entscheidungen und Wirkungen innerhalb der gesamten EU. Verlässt Großbritannien diese EU, wird das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung beseitigt und die Balance gestört. Das wird dazu führen, dass der deutsche EU-Bürger keinen Anspruch auf Anerkennung seiner britischen Restschuldbefreiung in Deutschland durchsetzen kann, weil die Gegenseitigkeit nicht mehr gegeben ist.

Fehlende Geltung des europäischen Insolvenzrecht: Auswirkungen für EU Bürger

Logische Folge des Austritts der Briten aus der Europäischen Union und damit die zukünftig fehlende Geltung des europäischen Insolvenzrechts auch in den Heimatländern verschlechtert die Situation für dort lebende bzw. zukünftig sich dort niederlassende EU Bürger massiv. Ausländische EU-Bürger sind wegen zukünftig fehlender Rechtssicherheit beeinträchtigt sowie verunsichert und fragen sich zu Recht, ob es einen Sinn machen könnte, sich noch in Großbritannien niederzulassen. Das gilt insbesondere dann, wenn möglicherweise Insolvenz drohen könnte.

Vorteile EU-Raum Insolvenzverfahren: Freizügigkeit – Bürgerrechte

Für insolvente Privatpersonen bietet die verbriefte Freizügigkeit im EU-Raum vielfältige Vorteile. EU Bürger können ohne rechtliche Benachteiligung innerhalb der EU umziehen und ihren Wohnsitz frei wählen. Sie unterliegen keinen Einschränkungen ihrer Bürgerrechte und werden mit den „Einheimischen“ gleichbehandelt. Das gilt auch für Personen mit Schulden oder sich abzeichnender schlechter Bonität. Diese Menschen können im EU Ausland das Insolvenzverfahren gemäß den dortigen Regeln und Vorgaben durchlaufen, wenn sie dort ihren Wohnsitz haben. Das wird für Großbritannien zukünftig nicht mehr gelten können. Jedoch werden diejenigen Entscheidungen eines EU-Partnerlandes, die zu Zeiten der Mitgliedschaft in der EU ergangen sind, das Heimatland des EU-Ausländers auch weiterhin rechtlich binden. Ob hingegen zu Zeiten der (Noch)Mitgliedschaft eröffnete Verfahren nach den ursprünglichen EU-Regeln mit den entsprechenden Wirkungen noch abgeschlossen und in der Wirkung anerkannt werden können, obwohl der Austritt bereits wirksam geworden ist, ist absolut nicht sicher, eher sehr zweifelhaft.

Insolvenzverfahren – Restschuldbefreiung

Wegen der unterschiedlich langen Laufzeiten für ein Privatinsolvenzverfahren bis zum Abschluss mit der Restschuldbefreiung in den einzelnen Ländern der EU gelten manche Länder für den von Insolvenz bedrohten Bürger attraktiver als manches andere. Der Weg bis zur Restschuldbefreiung ist in Großbritannien deutlich kürzer und sicherer als dies z.B. in Deutschland der Fall ist.

Nach dem Grundprinzip der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen innerhalb der EU gilt, dass der insolvente in- oder ausländische Bürger, dem durch die Justiz eines Landes dieser EU wirksam die Restschuldbefreiung zugesprochen worden ist, europaweit der Schutz der Restschuldbefreiung zusteht, ohne dass ein anderer Mitgliedsstaat befugt ist, eine solche Entscheidung anzuzweifeln oder gar zu verändern. Das bedeutet, dass EU-Bürger, die in der Vergangenheit nach Großbritannien verzogen sind, um hier von einer kürzeren sowie liberaleren Regelung Gebrauch machten, sie ihre Schulden mit Abschluss ihres Verfahrens sowie Wirkung für ganz Europa sicher erlassen bekamen.

Die Entscheidung der Briten, aus der Europäischen Union auszutreten zieht die zukünftig fehlende Wirksamkeit britischer Entscheidungen in Insolvenzverfahren außerhalb Großbritanniens zwingend nach sich.

Wohin wendet sich der Bürger, der seine Situation verändern möchte?

Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt in Berlin, hierzu: “Diese Veränderung der Rechtslage wird dazu führen, dass sich europäische Bürger anderen sicheren Häfen zuwenden werden und beispielsweise Irland ansteuern, das ein ähnliches Rechtssystem hat wie Großbritannien, jedoch in der EU verbleiben und deren Prinzipien ausdrücklich auch weiterhin achten und stärken wird. Das könnte eine Antwort für diejenigen sein, die im Hinblick auf den Brexit nach Alternativen fragen.“

Fazit: Der Brexit führt zu rechtlichen und tatsächlichen Verwerfungen und Störungen

Wer die Errungenschaften und Vorteile der innereuropäischen Freizügigkeit auch weiterhin genießen möchte, sollte ein anderes Ziel für die Veränderung seines Lebens suchen. Großbritannien wird zukünftig vermieden werden, weil er dort nicht seine Ziele erreichen kann. Der Austritt der Briten aus der Europäischen Union wird auf vielen Gebieten zu sowohl rechtlichen als auch tatsächlichen Verwerfungen führen, weil das Gleichgewicht der gegenseitigen Anerkennung sowie des Respekts vor anderen Ordnungen und Regeln durch diesen Brexit empfindlich gestört, wenn nicht sogar beseitigt wird. Wer die daraus resultierenden Risiken nicht eingehen will, muss beizeiten nach Alternativen suchen.

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
22. Jahrgang - Nr. 3388 vom 9. September 2019 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich