Ursachen und Nebenwirkungen
Die „EU-Hauptstadt Brüssel“ verbindet man gern mit einem starren, undurchschaubaren Moloch, in dem die EU für viel Geld tagt, aber doch nichts entscheidet und wenn, dann natürlich zu Ungunsten der Bürger. Viele Spesen, viel Bürokratie, das sind wohl die gängigsten Vorurteile. Doch das viel kritisierte Parlament kann auch anders, wenn es will. Die ab 1. November 2007 in Kraft tretende europäische Finanzmarktrichtlinie (MiFID = Markets in Financial Instruments Directive) gilt als das neue Grundgesetz für den Wertpapierhandel und das, jawohl, im Sinne der Anleger! Grundlage der MiFID ist die Zielsetzung, Investitionen innerhalb der EU, aber auch über deren Grenzen hinaus zu vereinfachen. Dies soll der „Europäische Pass“ erleichtern, der es Banken ermöglicht, in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Mitglied des europäischen Wirtschaftsraums Niederlassungen zu gründen oder dort grenzüberschreitend Dienstleistungen anzubieten, ohne ein gesondertes Zulassungsverfahren im Aufnahmeland durchlaufen zu müssen. Der Schaffung eines verbindlichen und integrierten europäischen Wertpapiermarktes dient aber vor allem die Tatsache, dass die MiFID einen einheitlichen und umfassenden Rechtsrahmen zur Ausführung von Anlegeraufträgen durch Börsen, sonstige Handelsplätze und Wertpapierfirmen schafft. Außerdem stärkt die Finanzmarktrichtlinie den Anlegerschutz durch erweiterte Wohlverhaltensregeln und Organisationsvorschriften. Auch die angestrebte Marktintegrität und –transparenz muss sich erst in der Praxis erweisen. Trotzdem ist die MiFID und die in ihrem Rahmen vereinbarten Vorgaben eine Verpflichtung an alle Unternehmen, die im EU-Raum Wertpapierdienstleistungen erbringen, entsprechende Maßnahmenpakete zu verwirklichen, ihre Prozesse auf die neuen organisatorischen Anforderungen abzustimmen und ihre Mitarbeiter angemessen zu informieren.
Der zweite Blickwinkel steht der Entscheidung aus Brüssel skeptisch, ja furchtvoll, gegenüber.
„Don’t mention the MiFID – dieser Satz ist unter europäischen Wertpapieraufsehern bereits zum geflügelten Wort geworden“, sagte Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), in seiner Rede auf der Jahrespressekonferenz der BaFin am 14. Mai 2007 in Bonn. Und er warnt, dass das wohl „größte Regulierungswerk des europäischen Kapitalmarktrechts“ bald über uns hereinbrechen wird, nachdem das bereits am 21. April 2004 beschlossene EU-Gesetz zur Umsetzung der MiFID die letzte parlamentarische Hürde in Deutschland genommen hat. Die am 1. November in Kraft tretenden Neuerungen werden bei deutschen Finanzdienstleistern für Unruhe sorgen, denn es wird eine Vielzahl von zusätzlichen bzw. modifizierten Informationen über den Kunden benötigt. Die neue Richtlinie verlangt neben Informationen über die Kundenbeziehung auch Daten, die außerhalb der Geschäftsbeziehung liegen. Neben kompetenter Beratung und vertrieblicher Relevanz, wird eine „lückenlose“ Dokumentation der Kundenkontakte, von Gesprächsinhalten und Ergebnissen unabdinglich. Den kurzen Vorbereitungszeitraum setzt die EU – diesmal ganz flott und unbürokratisch – konsequent durch. Das Gremium der europäischen Wertpapieraufseher hat mit seiner Studie über die neue Finanzmarktrichtlinie versucht für Klarheit zu sorgen. Demnach lässt sich beim MiFID-Komplex „bestmögliche Ausführung von Kundenaufträgen“ beispielhaft nachweisen – und ist europaweit unter der englischen Bezeichnung „best execution“ Gegenstand schönster Kontroversen. Die Richtlinie der EU zur Harmonisierung der Finanzmärkte im europäischen Binnenmarkt wird noch für weitere Verwirrung sorgen. Die Konsultation eines Experten ist deshalb schon jetzt ratsam.
Alle Neuerungen der Finanzmarktrichtlinie im Überblick:
Nachweisvermittlung wird erlaubnisfrei Die Nachweisvermittlung bei KWG-Produkten bedarf künftig keiner Erlaubnis mehr. Eine Finanzdienstleistung ist nicht erlaubnispflichtig, wenn lediglich eine Beziehung zu einem Anbieter bewiesen wird. Mit diesem Nachweis darf keine Anlageberatung verbunden sein. Letztere wäre ab dem 01.11.07 erlaubnispflichtig. Die provisionsabhängige Zuführung von Kunden an Finanzinstitute ist damit als Nachweisvermittlung in der Wertschöpfungskette erlaubnisfrei möglich.
Anlageberatung wird erlaubnispflichtig Die KWG-bezogene Anlageberatung ist als die Abgabe von individuellen Empfehlungen betreffend bestimmte Finanzinstrumente auf Grund der Prüfung der persönlichen Anlegerumstände definiert. Die Anlageberatung ist von der Werbung und von der Finanzanalyse abzugrenzen. Die neue Rechtsprechung hat folgende allgemeine, über den konkreten Auftrag hinausgehende Beratungspflicht konstatiert: Wer einen Berater in Anspruch nimmt und dabei nicht zu erkennen gibt, er bedürfe seines Rates nur in einer bestimmten Richtung, will eine allgemeine und möglichst auch erschöpfende Beratung und zugleich auch eine Belehrung über die Gefahren, die das beabsichtigte Geschäft in sich birgt.
Für Platzierungsgeschäft ist Erlaubnis erforderlich Damit die Vermittlung aus Primäremissionen namens und auf Rechnung des Emittenten gemeint. Das Platzierungsgeschäft ist abzugrenzen vom erlaubnispflichtigen Finanzkommissionsgeschäft, Emissionsgeschäft, der Abschlussvermittlung und von der Anlagevermittlung.
Eigengeschäfte bleiben zulässig Erlaubnispflichtig sind hingegen der Eigenhandel für Dritte sowie der Eigenhandel von Market Makern und Systematischen Internalisierern.
Gebundener Vermittler Die Finanzdienstleistungen des Vermittlers bleiben erlaubnisfrei. Für ihn haftet der Haftungsübernehmer, also das Institut, und zwar mit einer Vermögensschadenshaftpflichtversicherung von mindestens 1 Mio. Euro pro Versicherungsfall und 1,5 Mio. Euro für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres. Die Versicherungspflicht des Haftungsübernehmers für gebundene Vermittler entfällt (bislang 50.000,– Euro pro Jahr). Die Zuverlässigkeit und fachliche Eignung ist zu gewährleisten, dabei benötigt der gebundene Vermittler keinen schriftlichen Vertrag mit dem Kunden, sondern nur der Haftungsübernehmer. Der gebundene Vermittler muss den Kunden über den Haftungsübernehmer informieren.
Die finanzielle Verhältnisse können bei Kundeneignungsprüfung unberücksichtigt bleiben Bei der Eignungsprüfung des Kunden müssen dessen finanziellen Verhältnisse nicht mehr abgefragt werden. Diese Regelung gilt allerdings nur für den Vermittler, nicht für den Berater.
Empfehlungsverbot, aber kein Leistungsverbot bei Informationsverweigerung Verweigert ein Klient bei der Anlageberatung und Finanzportfolioverwaltung in der Exploration Informationen über Kenntnisse, Erfahrungen, Anlageziele und finanzielle Verhältnisse, können gleichwohl Positionen geliefert werden, allerdings ohne Empfehlung und ohne Vorschlag für eine Handelstrategie. Ursprünglich war in der MiFID ein Handelsverbot geplant gewesen. Die Informationspflicht des Kunden geht vor. Die Offenbarungspflicht des Kunden geht dahin, von sich aus wahrheitsgemäß alles an Tatsachen mitzuteilen, was nach seiner Kenntnis und seinem Verständnis zur Durchführung des Geschäfts von Bedeutung sein könnte.
Execution-only-Geschäfte ohne Gesprächstherapie Transaktionen erfolgen ohne Beratung und ohne Angemessenheitsprüfung auf Initiative des Kunden. Sie sind nur bei nicht-komplexen Finanzinstrumenten möglich, insbesondere nicht bei Instrumenten mit Derivateinbettung. Dem Kunden wird mitgeteilt, dass eine Angemessenheitsprüfung in dem reinen Abwicklungsmandat nicht erfolgte. Bei widersprüchlichen Weisungen hat der Finanzdienstleister eventuell eine Nachfragepflicht bei seinem Kunden über das weitere Vorgehen.
Kick-backs (Innenprovisionen, Provisionsrückvergütungen, Bestandsprovisionen) müssen im Kundeninteresse liegen Die umfassende Offenlegung von geplanten Drittzuwendungen (bzw. von Regelungen) an den Finanzdienstleister reicht für sich genommen für die Zulässigkeit nicht aus. Vielmehr müssen die Drittzuwendungen auf Verbesserung der Dienstleistungsqualität für den Kunden gerichtet sein. Dieses ist bei Staffelprovisionen nicht der Fall. Auch offen gelegte Staffelprovisionen („je höher der Umsatz, umso höher ist die Innenprovision/Kick-back“) sind verboten. Die CESR, der Zusammenschluss europäischer Aufsichtsbehörden, hat zu den Kommissionsvergütungsregeln anhand von Fallbeispielen Abgrenzungen vorgenommen. Ohne nicht-dispositive, ausführliche Information über Drittzuwendungsregelungen, wozu auch die Bekanntgabe von Kooperationsvereinbarungen gehören könnte, sind Kick-backs verboten. Kick-backs direkt an die Kunden sind hingegen erlaubt.
Formelle Anforderungen an die Risikoinformation sind abgestuft Ab dem 01.11.07 gelten formelle Regelungen über die korrekten Zeitpunkte der Erbringung der jeweiligen Aufklärungs- und Informationspflichten: Die Information über den Vertrag und die Vertragsbedingungen sind dem Privatkunden vor Vertragsschluss und vor Erbringung der Haupt- und Nebendienstleistung zu liefern, alle anderen Informationen vor Erbringung der ersten Haupt- und Nebendienstleistung. Die Übermittlung der Informationen über den Vertrag und die Vertragsbedingungen sind dem Kunden unverzüglich nach Abschluss des Vertrages in Textform, alle übrigen Informationen nach dem Beginn der Erbringung der Wertpapierdienstleistungen in Textform zu liefern. Sonach erfolgt die Art der Informationen zum einen mündlich und zum anderen schriftlich. Die Aufklärung vor dem Geschäft sollte von der Rechtfertigung nach dem Geschäft auch vom Zeitpunkt her gesehen abgegrenzt werden.
Ungefragte Benchmarkaufklärung durch Finanzportfolioverwalter Hier ist ein Vergleichsmaßstab anzugeben, beispielsweise in Gestalt anderer Werteentwicklung wie des DAX-Kurses. Dann kann der Kunden ermessen, ob der Verwalter über dem Durchschnitt liegt und ob dessen Einschaltung sinnvoll ist. Der konkrete Umfang der Informationspflichten richtet sich nach dem erteilten Auftrag und den Umständen des einzelnen Falles.
Frühere Wertentwicklungen – weniger als 12 Monate verboten Die Darstellung der Wertentwicklung muss in der Werbung des Finanzinstitutes mindestens den Zeitraum der letzten fünf Jahre erfassen, und zwar in ganzen Zwölfmonatszeiträumen. Nur wenn der Vergleichsmaßstab kürzer ist, sind kürzere Zeiträume möglich. Koordinaten betreffend einen Zeitraum von weniger als 12 Monaten sind verboten.
Materielle Kundeninformationen Die dem Privatkunden geschuldeten Produktinformationen einschließlich aller Ertragswertkomponenten sind detailliert in den §§ 4,5 der WpDVerOV-Entwurf vom 30.01.07 im Sinne eines Risikoausgleiches geregelt. Diese Regelungen ersetzen allerdings nicht die Suche nach der im jeweiligen Auftrag liegenden konkret geschuldeten Vertragspflicht. Hier kann es zu Missverständnissen kommen, so dass der Umfang des Auftrages möglicherweise durch Auslegung erweitert werden muss. Will der Finanzdienstleister einen Auftrag nicht annehmen, so sollte er zwecks Meidung von Leistungsstörungen dafür sorgen, dass die Ablehnung auf demselben Weg und ebenso schnell sein Büro verlässt, wie der Auftrag bei ihm eingegangen ist. Geht es um kurze Zeiträume – innerhalb von Stunden können Vermögen gebildet werden und verloren gehen – muss der Finanzdienstleister nach Treu und Glauben sofort handeln – in die eine oder andere Richtung.
Mittelbare Wirkung vor Umsetzung Schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist haben aber Richtlinien insoweit Rechtswirkungen, als die nationalen Rechtsnormen im Wege einer „europarechtskonformen Auslegung“ soweit möglich unter Beachtung der Vorgaben der Richtlinie zu interpretieren sind, um Kollisionen zwischen europarechtlichen Vorgaben und innerstaatlichem Recht zu vermeiden.