„ODDSET – Gewinnen mit System“. Diesen Werbeslogan der Deutschen Klassenlotterie Berlin nahmen einige Sportsfreunde im Charlottenburger Café King beim Wort und systematisierten ihre eigenen Gewinne ganz gewaltig. Herausgekommen ist das spektakulärste Ereignis seit Abebben der Flutwelle. Der Skandal um die manipulierten Bundesliga-Fußballspiele scheint immer weitere Kreise zu ziehen; kaum ein Tag vergeht ohne neue Razzien, Verhaftungen und Pressekonferenzen. Der letzte Schrei: Die Staatsanwaltschaft Berlin beantragte beim Amtsgericht Tiergarten mit Erfolg Untersuchungshaft für Robert Hoyzer wegen Fluchtgefahr. Und kein Geringerer als Franz Beckenbauer, seines Zeichens Fußballdiplomat und Lichtgestalt des deutschen Fußballs, ist rührend bemüht, einen dauerhaften Imageschaden abzuwenden.
Auch einem Außenstehenden wird rasch deutlich: Die Affäre hat in erster Linie eine politische Dimension. Anderthalb Jahre vor der Fußball-Weltmeisterschaft soll das Ansehen des deutschen Fußballs nicht noch weiteren Schaden werden. Schlimm genug, dass das Vertrauen der Bevölkerung in TOTO und ODDSET bis auf weiteres erschüttert ist. Und schlimm genug, dass sich die Nationalelf dauernd auf dem Rasen blamiert. Aber es soll bitteschön wenigstens mit rechten Dingen zugehen.
Es steht zu erwarten, dass verärgerte Wettfreunde, Wettveranstalter und insbesondere die unterlegenen Vereine Schadensersatzforderungen gegen den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und die geständigen Schiedsrichter geltend machen. Der DFB dürfte in Vertragsbeziehungen zu den Bundesligaclubs und den Wettbüros stehen, in deren Rahmen er sich zu einer sachgerechten und unparteiischen Spielüberwachung verpflichtet hat. Die verpfiffenen Spiele sind Vertragsverletzungen, die sich der DFB über § 278 BGB zurechnen lassen muss, weil die Schiedsrichter insoweit seine Erfüllungsgehilfen sind. Mögliche Anspruchsgrundlage gegen die manipulierenden Referees ist außerdem § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung). Für den Vorsatz der Spielleiter genügt es, dass sie die Vermögenseinbußen Dritter in Kauf nahmen, um sich durch die Schmiergelder zu bereichern. Fraglich bleibt für alle Beteiligten die Berechnung ihrer Schäden. Denn der Geschädigte ist wirtschaftlich so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde. Das Ergebnis der manipulierten Spiele bei ordnungsgemäßer Spielleitung kann aber nur durch eine Wiederholung der Begegnungen nachvollzogen werden. Droht nun eine Welle von Nachholpartien? Für einige Erstligaspiele könnte hiermit zu rechnen sein; allerdings hat sich der HSV für seine Niederlage gegen Paderborn vor dem DFB-Sportgericht mit einer Abfindung zufrieden erklärt.
Die Öffentlichkeit erwartet außerdem zurecht eine Bestrafung bestechlicher Schiedsrichter. Doch schon hier ist mit juristischen Hürden zu rechnen. Denn die Straftatbestände der Vorteilsannahme und der Bestechlichkeit (§§ 331, 332 StGB) sind als sogenannte Sonderdelikte nur auf Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete anwendbar. Zu diesen Personenkreisen gehören Fußballschiedsrichter nicht. Dagegen dürften Betrüge der Schiedsrichter gegenüber und zu Lasten der staatlichen Wettbüros vorliegen, wenn die kreative Spielgestaltung ausschließlich zwischen ihnen und der „Wettmafia“ vereinbart wurde. Offenbar genau das ist der Fall, denn die Staatsanwaltschaft Berlin wirft Robert Hoyzer derzeit gewerbs- und bandenmäßigen Betrug in acht Fällen vor. Doch damit nicht genug: Herr Hoyzer sitzt seit einigen Tagen außerdem wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft, was sein Anwalt bereits als überzogene Maßnahme kritisierte.
Auf den ersten Blick scheinen aber auch die „Wettmafiosi“ mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Denn mit staatlichen Fußballwetten wird selbst der hartnäckigste Betrüger nicht reich, nur weil er den einen oder anderen Spielausgang kennt: Für ODDSET und TOTO sind zum einen Höchsteinsätze festgelegt. Zum anderen führen nur genaue Vorhersagen über eine Mehrzahl von Spielen zu interessanten Gewinnquoten. Dennoch kursierten sofort nach den ersten Hausdurchsuchungen Berichte über sichergestellte Sportwettenbelege in sechsstelliger Höhe. Angeblich waren dem DFB verdächtig angestiegene Wetteinsätze schon vor den Spielen gemeldet worden – hinterher ist man schließlich immer schlauer. Da staunt der Sportsmann und der Fußballlaie wundert sich. Doch auch hier lohnt sich ein zweiter Blick. Denn auf dem grauen Markt boomt die Sportwettenbranche durchaus. Branchenkennern ist bekannt, dass versierte Berufs- und Hobby-Zocker über das Internet hohe Beträge auf ausländische Sportwetten setzen. Und um diesen Markt toben inzwischen heftige juristische Grabenkämpfe. Was sind die Hintergründe? In Deutschland gibt es ein Glücksspielmonopol, das noch aus Vorkriegszeiten stammt und den Zweck verfolgt, allzu wettfreudige Zeitgenossen vor wirtschaftlicher Selbstschädigung zu schützen. Mit diesem rechtspolitischen Ziel schreibt auch das BGB vor, dass Forderungen aus staatlich nicht genehmigten Glücksspielen oder Wetten nicht einklagbar sind. Wer dennoch eine nichtstaatliche Wettschuld begleicht, kann das Geleistete nicht zurückverlangen (§§ 762, 763 BGB). Seit Geltung des Grundgesetzes ist das Lotterie- und Sportwettenrecht Ländersache. Die meisten Sportwettengesetze untersagen Zulassungen für private Wettveranstalter. Gleichwohl genehmigungslos tätige Buchmacher riskierten bislang Strafverfahren wegen unerlaubter Veranstaltung eines Glücksspiels (§ 284 StGB). Dies galt sogar für Unternehmen, die über das Internet die Teilnahme an legalen ausländischen Sportlotterien vermittelten. Das staatliche Glücksspielmonopol ist nun mit dem „Gambelli-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2003 ordentlich ins Wanken geraten: Einem italienischen Unternehmer war untersagt worden, Sportwetten aus Großbritannien zu vermitteln. Der EuGH befand, dass das die Verbotsvorschriften der Republik Italien mit der europaweiten Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit unvereinbar seien. Europarechtsexperten gehen seit der Entscheidung davon aus, dass die Tage des deutschen Glücksspielmonopols gezählt sind. Mehrere deutsche Verwaltungsgerichte hatten sich in jüngster Zeit mit der Schließung von Wettannahmestellen zu befassen und kamen dabei – teils wegen der unterschiedlichen Interpretation des EuGH-Urteils, teils wegen der divergierenden Rechtslagen in den einzelnen Bundesländern – zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einige verhinderte Wettunternehmer haben inzwischen Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe erhoben, die sie auf ihr Berufsausübungsrecht aus Artikel 12 GG stützen. Nun heißt es warten. Auf die Ergebnisse der Berliner Skandalermittler und die weitere Entwicklung der Rechtslage dürfen wir gleichermaßen gespannt sein. Absehbar ist aber schon jetzt: Mit der Öffnung des deutschen Sportwettenmarktes für private Anbieter werden weitere Schiedsrichterbestechungen nicht unwahrscheinlicher. Dann ist der deutsche Fußball eben wieder in der Krise.