Wer von seinen Mitmenschen enttäuscht wurde, ließ sich früher im Familien- und Freundeskreis den Ärger von der Seele. In unserer modernen Zeit übernehmen diese Funktion immer mehr anonyme Blogs, auf denen man sich frei von Zwängen über seinen (Ex-)Arbeitgeber oder Geschäftspartner auslässt. Neben umfangreichen Blogs auf Seiten wie WordPress.com oder Blogspot.de haben auch so genannte Mikroblogs zugenommen, bei denen der Benutzer kurze, SMS-ähnliche Textnachrichten veröffentlichen kann, die dann mit sozialen Netzwerken verknüpft werden können. Zu den bekanntesten Mikroblogging-Diensten zählen Twitter, Tumblr oder Posterous, aber auch soziale Netzwerke wie Xing oder Facebook ermöglichen das Mikroblogging.
Angesichts der Vielzahl an Nachrichten finden sich auch ehrverletzende Äußerungen darunter. Für die Betroffenen stellte sich daher lange Zeit die Frage, ob sie den Mikroblogging-Dienst auf Beseitigung des Posts und Unterlassung künftiger gleichlautender Nachrichten in Anspruch nehmen können. Diese Frage stellte sich auch ein Unternehmer, der in einem sozialen Netzwerk mehrere Einträge eines anonymen Nutzers lesen musste, mit denen seine Geschäftspraktiken scharf kritisiert wurden. Er verklagte den Betreiber des sozialen Netzwerks auf Unterlassung.
Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden
Das Oberlandesgericht Dresden (Urteil vom 01.04.2015 – 4 U 1296/14) bemühte die Grundsätze des Bundesgerichtshofs zu Informationsportalen (Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 25.10.2011 – VI ZR 93/10; Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.03.2012 – VI ZR 144/11), die es auf Mikroblogging-Dienste übertrug:
Rechtliche Grenzen im Internet
Insbesondere bei ehrverletzenden Äußerungen im Internet ist grundsätzlich – wie sonst auch – die Meinungsfreiheit des Einzelnen gegen die geschützten Rechte Dritter (insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das die eigene Ehre sowie das Recht am eigenen Bild [Foto] etc. beinhaltet) abzuwägen. Die hier in der realen Welt festgelegten Grenzen der freien Rede gelten auch im Internet (sogenannter Übertragungsgrundsatz): So unterfallen falsche, ehrverletzende Tatsachenbehauptungen (z.B. Herr Müller greift immer in die Kasse und veruntreut Geld) dem Straftatbestand der üblen Nachrede (§ 186 des Strafgesetzbuchs) und sollten daher unterbleiben. Dies gilt generell für ehrverletzende Tatsachenbehauptungen, da hier derjenige, der die Äußerung trifft, die materielle Beweislast für die Wahrheit der behaupteten Tatsache trägt und somit das volle (Verurteilungsrisiko) trägt, wenn der Beweis der Wahrheit der Tatsachenaussage vor Gericht (aus welchem Grund auch immer) nicht erbracht werden kann. Eine weitere Grenze der freien Rede stellt der Beleidigungs-Tatbestand dar (§ 185 Strafgesetzbuch), der Angriffe auf die innere Ehre (sog. Selbstwertgefühl) oder/und die äußere Ehre (der gute Ruf) unter Strafe stellt. Zwar sind Werturteile grundsätzlich vom Recht zur freien Meinungsäußerung gedeckt, jedoch nur soweit sie nicht darauf gerichtet ist, die Persönlichkeit des anderen herabzusetzen, so dass nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des anderen im Mittelpunkt steht – der andere wird also bewusst „durch den Dreck gezogen“. Beispiel: Der Geschäftsführer einer Gesellschaft wird als „unfähiger Taugenicht, ein elender Wurm und Halsabschneider“ bezeichnet. Derartige Äußerungen sind nach dem Übertragungsgrundsatz gleichfalls im Internet strafbar. Zivilrechtlich kann deren Unterlassung und Beseitigung verlangt werden. Nach diesen Maßstäben lag im konkreten Fall in den Nachrichten eine Persönlichkeitsverletzung des Klägers bzw. eine Rufschädigung seines Unternehmens vor.
Nur sekundäre Prüfpflicht
Hostprovider von Informationsportalen oder eben von Mikroblogging-Diensten trifft hierbei jedoch keine grundsätzlich Pflicht, ihre Seiten ständig zu überwachen und jede Nachricht vor deren Veröffentlichung auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen. Dies wäre unzumutbar.
Erst wenn seitens eines Nutzers konkrete rechtswidrige Äußerungen beanstandet werden, und der Hinweis so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des betroffenen unschwer, d.h. ohne eingehende rechtliche und tatsächliche Überprüfung bejaht werden kann, muss der Hostprovider tätig werden. Hierhinter steckt der „Grundsatz einer faktischen Wiederholung“, wie er rechtlich für Rechtsverletzungen in Funk und Fernsehen entwickelt wurde: Dort ist inzwischen anerkannt, dass die sog. mediale Privilegierung für rechtsverletzende Meinungsäußerungen in Live-Sendungen sich nicht auf Wiederholungen erstreckt, da dem Veranstalter hier die Möglichkeit offen steht, die durch eine Wiederholung erfolgende erneute Verbreitung von ihm bekannten ehrverletzenden Äußerungen Dritter während der Sendung durch eine Zensur zu verhindern; erfolgt dies nicht, so haftet der Veranstalter. Diese gleichen Grundsätze sind auf den Betreiber einer Internetseite übertragbar und wie nun das Oberlandesgericht Dresden entschied, auch auf den Betreiber eines Mikroblogging-Dienstes:
„Der Hostprovider müsse nicht von vorneherein eine eigene Prüfung und Abwägung der betroffenen Rechte durchführen. Er müsse aber prüfen, ob – die Richtigkeit der Beanstandung unterstellt – möglicherweise fremde Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Dazu solle er unter Einbeziehung des anonymen Nutzers im Interesse der beiderseitig betroffenen Rechtsgüter, insbesondere des Persönlichkeitsrechts und der Meinungsäußerungsfreiheit, ein Verfahren einleiten, indem der Nutzer die Gelegenheit erhalte, zu den Beanstandungen innerhalb angemessener Frist Stellung zu nehmen“ (Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Dresden).
So leitete auch vorliegend der Betreiber des Mikroblogging-Dienstes die „Beschwerde“ des Klägers an den anonymen Blogger weiter. Wäre von diesem eine Stellungnahme erfolgt, hätte der Dienst auf dieser Grundlage prüfen müssen, ob eine Persönlichkeitsverletzung gegeben ist. Erfolgt wie im vorliegenden Fall keine Reaktion, so hat er grundsätzlich von einer Ehrverletzung auszugehen und kurzfristig die betroffene Nachricht aus dem Netz zu nehmen.
Unterlassungsanspruch
Da dies vorliegend nicht geschehen war, wurde er vom Oberlandesgericht Dresden als Störer dazu verpflichtet, es zu unterlassen, im Einzelnen näher beschriebene, die Klägerseite diskreditierende Äußerungen über ihr Internetportal im Bereich Deutschlands zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen.