Beim Wurf eines entzündeten Feuerwerkskörpers durch ein geöffnetes Wohnungsfenster durch einen nicht unerheblich alkoholisierten Täter muss für einen Schuldvorwurf hinreichend festgestellt sein, dass der Angeklagte das teilweise Zerstören der Wohnung oder ein Inbrandsetzen des Gebäudes billigend in Kauf genommen hat. (Leitsatz des Bearbeiters) BGH, Beschl. v. 14.07.2009 – 3 StR 276/09, BeckRS 2009, 22498
Einleitung: Feuerwerkskörper sind gefährlich
Feuerwerkskörper werden an Silvester zum Spaß fast überall hin geworfen: in einen Fußgängerunterführung wegen des Halls, in Mülltonnen, auf die Straße oder auch durch ein geöffnetes Wohnzimmerfenster, um Feuermuffel zu helfen, die „bösen Geister“ zu vertreiben. Ob ein derartiger Wurf eines feierlustigen (d.h. alkoholisierten) Täters in eine fremde Wohnung hinein nicht nur ein Spaß, sondern sogar eine strafbare vorsätzliche Brandstiftung darstellt, hat grundsätzlich der Bundesgerichtshof entschieden.
Sachverhalt (verkürzt): Feuerwerkskörper durch genöffnete Fenster ist kein Spaß – Brandstiftung
Der Angeklagte hat in zwei Fällen jeweils einen entzündeten Feuerwerkskörper durch ein geöffnetes Wohnungsfenster geworfen. In einem Fall entstand hierfurch ein Brand, durch den das Kinderzimmer so stark beschädigt wurde, dass es wegen einer erforderlichen Renovierung vier Wochen lang nicht genutzt werden konnte. Alle Möbel und Gegenstände in der gesamten Wohnung mussten aufwendig gesäubert und renoviert werden. Das Landgericht Hannover hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung in zwei Fällen, wobei es in einem Fall bei einem Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Kommentierte Entscheidungsgründe: Brandstiftungsdelikte – Zerstören – Beschädigen
Mit dem am 1. April 1998 in Kraft getretenen Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG – BGBl. 1998 I, S. 164 ff.) schuf der Gesetzgeber bekanntlich in kürzester Zeit (Der Referentenentwurf vom 15. Juli 1996 wurde ohne vorherige Abstimmung mit den beteiligten Ressorts den Landesjustizverwaltungen mit einer Frist zur Stellungnahme von 3 Wochen und der Praxis am 18. Oktober 1996 mit einer Frist bis zum 21. Februar 1997 überleitet!) die umfassendste Änderung des Strafgesetzbuchs seit 1871, um Strafrahmen zu harmonisieren, Strafbarkeitslücken zu schließen, Auslegungsschwierigkeiten zu beseitigen und in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht veraltete Tatbestandsfassungen den modernen Erfordernissen anzupassen (BT-Drs. 13/8587, S. 1). Dies galt maßgeblich für die (erst in einem späten Zeitpunkt in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossene) „vollständige Überarbeitung“ der „als unübersichtlich, uneinheitlich, lückenhaft, teilweise systemwidrig, insgesamt als nicht mehr zeitgemäß“ (BT-Drs. 13/8587, S. 25) empfundenen Brandstiftungsdelikte. Die Eile des Gesetzgebers führte jedoch verbunden mit einer unzureichenden wissenschaftlichen Begleitung (vgl. hierzu Radtke, ZStW 110 [1998], 848 Fn. 5) zu vielfältigen handwerklichen Fehlern, ersetzten so das „Gestrüpp der §§ 306 ff. vormaliger Fassung“ (Geppert, Jura 1998, 597 [598]) nur durch ein neues Gestrüpp mit erheblichen Auslegungsproblemen und „Strafrahmenrätseln“ (Fischer, NStZ 1999, 13 f.).
Hierzu zählt maßgeblich die Tathandlungsvariante des „teilweisen Zerstörens“, auf die das Landgericht vorliegend abgestellt hat. Die Handlungsalternative „durch Brandlegung ganz oder teilweise zerstört“ wurde vom Gesetzgeber in Anlehnung an § 185 StGB-DDR („durch Feuer oder Explosion vernichtet oder beschädigt“) und §§ 305, 305 a („ganz oder teilweise zerstört“) eingefügt, um Fälle zu erfassen, in denen wegen der modernen feuerbeständigen Bauweise wesentliche Bestandteile selbst nicht brennen, durch „große Ruß-, Gas- und Rauchentwicklungen sowie durch starke Hitzeeinwirkung“ aber die gleiche (Gemein-)Gefährlichkeit für Leben und Gesundheit der Bewohner und bedeutende Sachwerte besteht (BT-Drs. 13/8587, S. 26).
Der Begriff des „Zerstörens“ umfasste im Rahmen der §§ 303 ff. ursprünglich als „wesentliche Beschädigung“ (RGSt. 39, 223 [224]; OGHSt. 2, 94 [98]) nur die Verletzung einer Sache durch Einwirkung auf ihre Substanz, die die Sache in ihrer „Einheit völlig auflöst“, so dass die Sache dann nicht mehr ihrem Begriff entspricht. Bei zusammengesetzten Sachen war eine Zerstörung auch durch eine Trennung möglich, sofern durch diese die Gebrauchsfähigkeit der Sache zu ihrem bestimmungsgemäßen Zweck aufgehoben wurde (RGSt. 20, 182 ff.; RGSt. 20, 353) und solange ein Zusammensetzen „nicht jederzeit [also in kurzer Zeit] und ohne jede Mühe“ möglich war (RGSt. 55, 169).
Berücksichtigt man die Zusammensetzung einer jeden Sache aus Atomen, so bewirkt jede Beschädigung eine Herauslösung und damit eine Trennung von „Sachteilen“, so dass es folgerichtig war, dass die Rechtsprechung die völlige Aufhebung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit generell für Einwirkungen auch jenseits der Trennung zusammengesetzter Sachen im bisherigen Sinne für ausreichend erachtete (RGSt. 74, 13 [14]), wobei dies normativ einer endgültigen Substanzzerstörung nur gleichgestellt werden kann, wenn die Funktionsaufhebung der gesamten Sache „nachhaltig“ (BGHSt. 44, 35 [38]) ist, d.h. – ex ante betrachtet – nicht binnen kurzer Zeit wieder vergeht oder mit minimalem Aufwand (z.B. Befüllen des platten Reifens mit neuer Luft: BGHSt. 13, 207 [208]) beseitigt werden kann. Der Begriff des Zerstörens wird seither definiert als eine derartige Verletzung des Eigentums an einer Sache derart, dass ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit für einen nicht unerheblichen Zeitraum vollständig aufhoben wird.
Ein nur „teilweises Zerstören“, das streng vom nicht tatbestandsmäßigen „Beschädigen“ abzugrenzen ist, liegt danach bei einem nur teilweisen Aufheben der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit des gesamten Tatobjekts vor, also „wenn – für eine nicht nur unbeträchtliche Zeit – das Tatobjekt wenigstens für einzelne seiner Zweckbestimmungen unbrauchbar gemacht wird, wenn ein für die ganze Sache zwecknötiger Teil unbrauchbar wird oder wenn einzelne Bestandteile der Sache, die für einen selbstständigen Gebrauch [zur Verfolgung der Zweckbestimmung der Gesamtsache] bestimmt und eingerichtet sind, wie etwa Abteilungen eines Gebäudes, gänzlich vernichtet werden“ (BGHSt. 48, 14 [20]). Soweit der Bundesgerichtshof seit seiner Grundsatzentscheidung BGHSt. 48, 14 ff. noch immer wegen der Strafrahmendivergenz zwischen §§ 305, 305 a und §§ 306, 306 a „ein teilweises Zerstören von Gewicht“ verlangt (BGHSt. 48, 14 [19 f.]), so bleibt dieses Postulat nicht nur „weitgehend inhaltsleer“ (Radtke, NStZ 2003, 432 [433]), da die in diesem Zusammenhang einzig betonte Funktionsbeeinträchtigung „für eine beträchtliche Zeit – und nicht nur für Stunden oder einen Tag“ (BGHSt. 48, 14 [20]) bereits einen Bestandteil des Begriffs des „teilweise Zerstörens“ in §§ 305, 305 a bildet, sondern der Bundesgerichtshof verkennt auch, dass die Strafrahmendivergenz auf der bei §§ 306, 306 a hinzukommenden „Gemeingefährlichkeit“ beruht.
Ein „teilweises Zerstören“ bezogen auf die Tatobjekte des § 306 a I Nr. 1 verlangt, „dass (zumindest) ein zum selbstständigen Wohngebrauch [„örtlicher Lebensmittelpunkt“ (BGHSt. 26, 121 [123])] bestimmter Teil des Wohngebäudes – d.h. eine zum Wohnen bestimmte, abgeschlossene `Untereinheit´ [eine gesamte Wohnung in einem Gebäude] – durch die Brandlegung für Wohnzwecke unbrauchbar geworden ist“, für einen „verständigen Wohnungsinhaber“ also zumindest „für eine beträchtliche Zeit“ nicht zum Wohnen benutzbar ist (BGHSt. 48, 14 [20]; umfassend zum teilweisen Zerstören Kraatz, Jura 2012, 627 ff.; ders., JuS 2012, 691). Der Bundesgerichtshof hat daher vorliegend zutreffend festgestellt, dass die festgestellte zeitweise Unbenutzbarkeit lediglich des Kinderzimmers nicht ausreicht. Es bedürfte für eine vollendete schwere Brandstiftung nach § 306a StGB vielmehr der Feststellung, „dass die gesamte Wohnung wegen einer starken Verrußung über längere Zeit nicht bewohnt werden konnte“ (BGH, BeckRS 2009, 22498); entsprechende Feststellungen wurden vorliegend jedoch nicht getroffen.
Hierüber hinaus monierte der Bundesgerichtshof zu Recht die Feststellung eines Brandstiftungsvorsatzes.
Von jeher für den Vorsatz nach der Kurzformel vom „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“(BGHSt. 36, 1 [9 f.]) ein Wissens-Element als „Voraussicht oder Vorstellung des Erfolgseintritts“ Kühl, AT, § 5 Rn. 7) und ein gleichrangiges Wollenselement zu Verwirklichung des Straftatbestandes verlangt, wobei es für einen bedingten Vorsatz für ausreichend erachtet wird, wenn der Täter den Taterfolg „billigend in Kauf genommen“ hat.
Der Brandstiftungsvorsatz muss sich darauf beziehen, dass der Täter ein taugliches Tatobjekt in Brand setzt oder durch Brandlegung teilweise zerstört. Hierbei gibt es einen zwingenden „Erfahrungssatz des Inhalts, nahezu jedermann wisse, dass nach dem Ausgießen großer Mengen Benzin bereits ein Funke zu einer Explosion führen könne“ (BGHR StPO § 261 in dubio pro reo 9), zwar nicht, ein derartiger Schluss von einer objektiv tauglichen gefährlichen Inbrandsetzungshandlung auf einen Vorsatz liegt aber derart mit hoher Wahrscheinlichkeit nahe, dass hiervon beim Fehlen von Anhaltspunkten für eine Gegenhypothese in der Regel ausgegangen werden kann (hierzu Kraatz, Der Einfluss der Erfahrung auf die tatrichterliche Sachverhaltsfeststellung, 2011, S. 459).
Genauso ist grundlegend davon auszugehen, dass jedermann wisse, dass ein brennender Feuerwerkskörper, der bewusst auf ein brennbares Material geworfen wird, dieses in Brand setzt. Vorliegend kommt zur Alkoholisierung des Täters, die einer vernünftigen Überlegung und damit einem Vorsatz entgegenstehen kann, hinzu, dass der Täter die Feuerwerkskörper nicht gezielt auf bestimmte Gegenstände geworfen hat, sondern wahllos durch ein Fenster, so dass er nicht wusste, ob die entzündeten Feuerwerkskörper, die nur für kurze Zeit mit einem Feuerschweif abbrennen, wirklich auf leicht entflammbare Gegenstände fallen würden. „Allein aus der Kenntnis von der allgemeinen Gefährlichkeit seines Handelns kann hier eine Billigung daher nicht abgeleitet werden“ (BGH, aaO).
Fazit: Recht des Silvesterkrachers – Alkoholisierung kann vor vorsätzlicher Straftatbegehung schützen
Der 3. Strafsenat hat sehr hohe Begründungsanforderungen an die subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 306a StGB aufgestellt, die ihre Rechtfertigung in dessen hohen Strafrahmen finden; ein bloßer Rückschluss von der abstrakten Gefährlichkeit des Handelns auf das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes reicht für eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Tatbegehung nicht aus (ebenso klar Reuther, FD-StrafR 2009, 287181). Und für die Silvesternacht bedeutet dies: Eine stärkere Alkoholisierung kann vor vorsätzlicher Straftatbegehung schützen. Also: Prost!