Interview mit Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte, Experte für Reputationsrecht aus Berlin.
Herr Dr. Schulte, worüber hat das Oberlandesgericht entschieden?
Niemand muss sich als „dunkler Parasit“ im Internet (hier bei einem Video bei Youtube) beschimpfen lassen. Das ist eine Beleidigung. Diese Beleidigung eines anonymen Nutzers auf einer Social-Media-Plattform rechtfertigt die Pflicht des Plattformbetreibers zur Herausgabe von Daten. Ein Opfer kann nur mit einem Klarnamen eine Klage anstrengen. Darum ging es in dem Urteil.
Wie funktioniert das Herausgabeverfahren?
Einige Zeit galt ein mühseliges Verfahren nach dem Telemediengesetz (TMG). Seit Mitte 2021 hat sich das Gesetz geändert. Nun gilt das Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz vom 23. Juni 2021 (BGBl. I S. 1982), (TTDSG).
Eine Auskunftspflicht des Plattformbetreibers nach § 21 Abs. 2 und 3 TTDSG entsteht, wenn eine Person auf einer Social-Media-Plattform durch einen anonymen Nutzer beleidigt wird, um zivilrechtliche Ansprüche durchzusetzen. Dabei ist es nicht erforderlich, die Schwere der Beleidigung oder die Einzelheiten der Verfolgung der zivilrechtlichen Ansprüche des Betroffenen festzulegen. Eine Beleidigung liegt vor, wenn jemand als „schwarzer Parasit“ bezeichnet wird. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in dieser Sache eine Entscheidung getroffen.
Gegen wen richtet sich das rechtliche Verfahren?
Dr. Thomas Schulte hierzu: Das Opfer muss zuerst den Täter auf Unterlassung und Schadenersatz in Anspruch nehmen. Hier ging es um Auskunftsansprüche gegen einen Host-Provider. Rechtlich gibt es drei Gruppen:
Access-Provider oder Internetprovider haften nicht für Inhalte, da diese technische Dienstleister sind. Extreme Ausnahmefälle sind dann gegeben, wenn es eine Rechtsverletzung ist, die anderweitig nicht beseitigt werden kann und erhebliche Bedeutung hat. Dann kann sogar z.B. vom der Telekom verlangt werden eine technische Sperre einzurichten.
Host-Provider haften für Inhalte, weil diese Dritten die Möglichkeit geben, sich zu äußern. Das sind Internetdienstleister wie Youtube oder Facebook oder Instagram. Dritte veröffentlichen auf der Plattform. Diese Haftung ist allerdings nur eine Störerhaftung, d.h. der Betroffene muss sich beschweren und sich selber kümmern.
Contentprovider haften immer: das sind Personen, die sozusagen eigene Internetseiten betreiben.
Worum ging es genau? Beleidigung bei Youtube
Dr. Thomas Schulte: “In einem Video, das ein Unbekannter im Februar 2022 auf YouTube hochgeladen hatte, wurde eine Frau unter anderem als „schwarzer Parasit“ bezeichnet. Der Nutzer beschrieb in einem emotionalen Posting seine Begegnung mit der Frau und erklärte, wie sie dazu führte, dass er seine früheren Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch retraumatisierte. Vor dem Landgericht Freiburg verlangte das Opfer der Beleidigung später von YouTube Auskunft über den Namen und den Wohnort des Nutzers. YouTube legte Berufung gegen die Entscheidung des Landgerichts ein, das der Frau Recht gab.”
Tipps für richtiges Verhalten im Internet
Welche Tipps geben Sie?
Dr. Thomas Schulte: „Für Prominente, solche die prominent werden wollen und Otto Normalbürger gilt der alte Spruch: Wer mit der Bildzeitung aufsteigt, steigt auch wieder ab. Content, Meinungsäußerungen, Bilder und so weiter, die freiwillig veröffentlicht werden, auf Instagram, Facebook oder wo auch immer, sind kaum zu löschen und tauchen immer zu unpassenden Gelegenheiten wieder auf. Deshalb muss jeder überlegen, was er wie postet.“
Selbstkontrolle – Prüfen was gepostet wird
Rechtlich verpflichtet sind Betroffene auf das Internet selbst zu achten, es gilt der Grundsatz der Selbstkontrolle des Internet. Sogenannte Content-Provider müssen nur dann aufpassen, wenn diese von Opfern selbst darauf hingewiesen worden sind.
Rechte Dritter achten
Die Rechte Dritter sind heilig. Das gilt im Übrigen auch für eigene Kinder. Es ist unzulässig, das Urheberrecht nicht zu beachten oder auch das Kunsturheberrecht (Bildnisse Dritter). Wer bewusst und zu Schädigungszwecken handelt, wird genau so bestraft und behandelt wie in der realen Welt. Das wird im wahrsten Sinne des Wortes teuer.
Anonymes Internet gibt es nicht – alles kommt raus (irgendwann)
Der hier besprochene Fall des Oberlandesgerichts behandelt einen Teilaspekt der Rechts des Internets. Auskunftsansprüche gegen Dritte werden immer weiter ausgedehnt. Selbst Geheimdienste schaffen es kaum die Identität zu verschleiern, der übliche Straftäter im Internet auf keinen Fall. Da die Rechtsordnung immer mehr Auskunftsansprüche schafft, kann sich niemand langfristig verstecken.
Barbra Streisand Effekt vermeiden
Achtung: wer sich laut wehrt und hektisch Aktivitäten lostritt, kann das Gegenteil erreichen. Erst dann werden weite Teile aufmerksam auf Reputations-Störungen wahrscheinlicher.
Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 06.09.2022, Aktenzeichen 14 W 61/22. Die Fragen stellte stud. iur. Valentin Schulte aus Berlin.
Zum Weiterlesen: Text des Gesetzes