Die Klage vor dem Oberlandesgericht war schlussendlich erfolglos. Anstatt Klarheit zu schaffen, steigen deutsche Gerichte regelmäßig in komplexe Wertungs- und Deutungsdiskussionen ein. Da der Gesetzgeber seit 20 Jahren schweigt und keine klaren Regeln erarbeitet haben Gerichte freie Hand. Argumente wie „die Suchmaschine wird nicht ernst genommen“; „jeder weiß, dass es sich um eine automatische Funktion handelt, ist an der Vermutung „Bankrott“ nicht wirklich etwas dran etc. werden ausgetauscht und bewertet vor dem Hintergrund des „verständigen Internetnutzers“. Rechtssicherheit sieht also anders aus. Die Verknüpfung des Namens eines Unternehmers mit dem Begriff „bankrott“ über die Autocomplete-Funktion im Rahmen der Google-Suche kann nach den Einzelfallumständen zulässig sein, meinte das Gericht also, weil das Ergebnis der Autocomplete-Funktion erkennbar unbestimmt und enthalte keine eigenständige Behauptung sei. Der Nutzer wisse, dass es automatisch generiert werde. Konkrete Bedeutung erlange die Kombination erst nach weiteren Recherchen, begründete das OLG seine Entscheidung. Ob das lebensnah ist? Untersuchungen zeigen, dass Internetuser sich binnen extrem kurzer Zeit Meinungen bilden und Entscheidungen treffen.
Hintergründe des Falls vor dem Oberlandesgericht Frankfurt
Das Gericht schildert den Konflikt wie folgt: „Der Kläger ist Inhaber einer Unternehmensgruppe, die auf dem Gebiet des Innendesigns von Hotels tätig ist. Die Beklagte betreibt u.a. die Internetsuchmaschine Google. Bei Eingabe von Vor- und Nachnamen des Klägers erscheint über die Autocomplete-Funktion als Suchergänzungsvorschlag „bankrott“. Hintergrund ist, dass zwei zur Unternehmensgruppe des Klägers gehörende Unternehmen vor rund zehn Jahren im Zusammenhang mit Ermittlungen deutscher Steuerbehörden insolvent und später wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht wurden. Ein konkret auf den Kläger bezugnehmender Webseiteneintrag stammt von einem Inkassounternehmen, welches ein Geschäftspartner der Unternehmensgruppe mit dem Einzug einer Forderung beauftragt hatte.“
Landgericht sah den Fall noch anders
Die Freiheit des Internets ist den Gerichten heilig; Internetsuchmaschinen sind im Wesentlichen frei und nur in extremen Fällen verpflichtet, Verantwortung zu übernehmen. Der Kläger wendete sich sowohl gegen die Anzeige des Suchergänzungsvorschlags „bankrott“ als auch gegen die Anzeige und Verlinkung auf die Webseite mit der URL, die sich auf die Zahlungsfähigkeit bezieht. Das Landgericht hatte die Suchmaschine noch verpflichtet, den über die Autocomplete-Funktion generierten Sucherergänzungsvorschlag nicht mehr anzuzeigen.
Die Suchmaschine ging in Berufung und hatte Erfolg. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Unterlassung der Suchwortvervollständigung „bankrott“ bei namensbasierter Suche nach seinem Vor- und Zunamen. Dieser Anspruch ergebe sich insbesondere nicht aus der Datenschutzgrundverordnung (i.F.: DS-GVO). Die Autocomplete-Funktion sei zwar als automatische Verarbeitung personenbezogener Daten einzustufen. Hier hätten die Interessen des Klägers an der Löschung aber hinter die Interessen der Nutzer und der Öffentlichkeit zurückzutreten.
Das Gericht prüfte auf übliche unbestimmte Weise
„Ob ein Löschungsanspruch bestehe, sei grundsätzlich auf Basis einer umfassenden Grundrechtsabwägung auf der Grundlage aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Abzuwägen seien aufseiten des Klägers die Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens, des Schutzes personenbezogener Daten und der unternehmerischen Freiheit; auf Seiten der Beklagten das Recht auf unternehmerische Freiheit und freie Meinungsäußerung. Zu berücksichtigen seien auch die Zugangsinteressen der Internetnutzer und das Interesse einer breiten Öffentlichkeit am Zugang zu Informationen.
Gewicht erlange hier, dass die Bedeutung des nach Eingabe des Namens erscheinenden Suchvorschlags „bankrott“ erkennbar offenbleibe und unbestimmt sei. Einem verständigen Internetnutzer sei bewusst, dass der Suchvorschlag Ergebnis eines automatischen Vorgangs sei. Der Nutzer könne mit der angezeigten Kombination zunächst „nichts anfangen“. Der angezeigten Kombination selbst sei keine eigenständige Behauptung zu entnehmen. Sie sei alleine Anlass für weitere Recherchen. Selbst wenn der Nutzer eine Verbindung zwischen dem Kläger und dem Begriff „bankrott“ herstellen würde, wäre offen, wie diese Verbindung inhaltlich auszugestalten wäre. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass es tatsächliche Anknüpfungstatsachen für die Verbindung des Namens mit dem Begriff „bankrott“ gebe.
Entgegen der Ansicht des Klägers beschränke sich der Begriff „bankrott“ auch nicht auf den strafbewehrten Vorwurf des § 283 StGB. Er finde vielmehr im allgemeinen Sprachgebrauch im Sinne einer Zahlungsunfähigkeit bzw. Insolvenz Verwendung.
Die Berufung des Klägers, mit welcher er weiterhin auch die Auslistung des Suchergebnisses in Form der konkreten URL begehrte, hatte dagegen keinen Erfolg. Die betroffenen Grundrechte des Klägers hätten hinter das Recht der Beklagten und das Interesse aller Nutzer am freien Informationszugang zurückzutreten, bestätigte das OLG die Entscheidung des Landgerichts.“ Quelle: https://ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.de/presse/klage-gegen-google-zurueckgewiesen
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 20.4.2023, Az. 16 U 10/22
(Landgericht Frankfurt, Main, Urteil vom 1.12.2021, Az. 2-34 O 37/21)
Tipps und Tricks
Betroffene müssen sich immer selber googeln, da es keine rechtliche Pflicht gibt, dass vorab Warnungen ausgesprochen werden müssen. Ansprechpartner bei negativen Informationen ist nicht nur die Suchmaschine, sondern primär die Webseite, auf der die Informationen gefunden werden. Häufig ergibt sich ein Löschungsanspruch aus Urheberrechtsverletzungen und anderen Rechtsverletzungen wie Wettbewerbsrecht. Auch aus dem europäischen Recht direkt ergibt ein Löschungsanspruch gerade bei „Insolvenz“. Es handelt sich um das Recht auf Vergessen. Nähere Informationen hier: https://www.dr-schulte.de/reputationsrecht-reputationsmanagement/reputationsrecht-das-urteil-zum-recht-auf-vergessen-im-internet-vergessen-vergeben-und-wieder-vertrauen/
Zudem ändert sich das Internetrecht ständig; im Jahre 2024 werden der Digital Service Act und der Digital Market Act in ganz Europa gelten. Dann werden die Karten nochmals neu gemischt.