Reputationsrecht – Auch Bordellbetreiber dürfen nicht einfach mit falschen Verdächtigungen überzogen werden – Schadenersatz zugesprochen
Der Ausflug der Ermittler in den Puff
Die Staatsanwaltschaft rückte im April 2016 mit Hunderten von Polizeibeamten, Zollfahndern und Staatsanwälten an, um gegen das als „Artemis“ bekannte Riesenbordell zu ermitteln. Fast alle Berliner Polizisten wollten das Etablissement in Augenschein nehmen. Es gab einen Anfangsverdacht von schweren Straftaten, die die Berliner Staatsanwaltschaft ausermitteln wollte.
Prostitution gilt seit langem als legales Gewerbe
Seit 1927 ist die Ausübung der Prostitution von der deutschen Regierung nicht mehr sanktioniert worden. Allerdings galt sie lange Zeit als sittenwidrig, und alles, was über die bloße Anmietung von Liegenschaften von Prostituierten hinausging, war sittenwidrig. Erst im Jahr 2002 wurde das Prostitutionsgesetz verabschiedet, das für mehr Klarheit in der Gesetzeslandschaft sorgte und die Rechte von Menschen, die in der Sexindustrie tätig sind, stärkte.
Die Pressekonferenz nach der Hausdurchsuchung führte um Schadenersatz
Die Staatsanwaltschaft hatte Grund zu der Annahme, dass bei der Hausdurchsuchung Beweise für eine „Verbindung zur organisierten Kriminalität“ gefunden werden würden, obwohl rechtlich alles in Ordnung war. Außerdem konnten die folgenden Aussagen nicht verifiziert werden: „[…] das System der Prostitution in einem gewalttätigen […] Umfeld bestätigen und unterstützen […]“ und „[…] sind Prostituierte ausgebeutet worden, ist Gewalt ausgeübt worden […].“
Justiz folgt dieser Einschätzung nicht
Das Ergebnis der Ermittlungen war ein völliges Versagen der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen wurden vom Landgericht Berlin mit einer schallenden Ohrfeige eingestellt. Die Anklageschrift wurde vom Gericht abgewiesen. Doch die Beteiligten ließen das nicht auf sich sitzen und verlangten die Klarstellung, dass sie als verantwortungsbewusste Geschäftsleute steuerlich und rechtlich korrekt gehandelt haben.
Die Schädigung des Rufes durch die Berichterstattung führte um Schadenersatzprozess
Wegen der umfangreichen Berichterstattung, die die Bordellbetreiber als geschäftsschädigend empfanden, klagten sie zunächst vor dem Landgericht Berlin, blieben aber erfolglos. Vor dem Kammergericht (KG) Berlin hatten sie jedoch Erfolg und bekamen einen Schadensersatz von 100.000 Euro zugesprochen. Außerdem verlangten sie eine Entschuldigung für die ungerechtfertigte Kritik, die an ihnen geübt worden war. Zusätzlich sprach der 9. Zivilsenat des KG den beiden Betreibern schließlich jeweils 50.000 Euro zuzüglich Zinsen für das Berufungsverfahren zu (Urteil vom 20. Dezember 2022, Az. 9 U 21/21). Das Gericht entschied, dass die Äußerungen der Staatsanwaltschaft in der Pressekonferenz im April 2016 zum Teil unrichtig und verfahrensschädigend waren.
Äußerungen der Staatsanwaltschaft, die eine Verletzung der Amtshaftung darstellen
Die Staatsanwaltschaft hatte Mitteilungen verschickt, die zum Teil „schuldhaft amtspflichtwidrig“ waren. Diese Mitteilungen seien zudem aufgeblasen und sogar reißerisch konstruiert. Ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro pro Betreiber sei wegen der von der Staatsanwaltschaft begangenen Amtspflichtverletzung angemessen (§ 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG). Insbesondere sei der von der Staatsanwaltschaft ins Spiel gebrachte „Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität“ nicht nachgewiesen worden. Die Staatsanwaltschaft hatte behauptet, dass die Bordellbetreiber an sich keinen Ehrenschutz hätten. Die Klägerinnen haben wie jeder andere Mensch einen Anspruch auf das aus Art. 1 und 2 GG abgeleitete Recht, dass ihre Ehre und ihr Ansehen nicht in unzulässiger Weise, d.h. jenseits der Wahrheit und des rechtlichen Rahmens der strafprozessualen Grenzen und der Unschuldsvermutung, verletzt werden. Dieses Recht schützt die Kläger davor, dass ihre Ehre und ihr Ruf in einer Art und Weise verletzt werden, die über die Wahrheit und den gesetzlichen Rahmen hinausgeht.
Bei öffentlichen Äußerungen hat die Staatsanwaltschaft nach Auffassung des Kammergerichts auch den Eindruck zu berücksichtigen, den juristische Laien von den betroffenen Personen zu gewinnen. In Nr. 23 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) werden die Grundsätze dargelegt, die von der Berliner Justiz zu beachten sind. So heißt es in Nr. 23 Abs. 1 Satz 4 RiStBV, dass vermieden werden soll, dass der Betroffene unnötig belastet wird. Es wurde festgestellt, dass der Oberstaatsanwalt diese Voraussetzungen nicht erfüllte. Seine Äußerungen waren nach Einschätzung des KG teils fehlerhaft, teils unklar, in ihrem Gesamteindruck präjudizieren und in einem unzulässig reißerischen Stil gehalten. Auch der Gesamteindruck, den sie vermittelten, war präjudiziell.
Andererseits darf die Berichterstattung in diesem Verfahrensstadium wegen der einschlägigen Unschuldsvermutung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 28 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 EMRK) in keiner Weise schädlich sein. Dieses fundamentale rechtsstaatliche Gebot hat das LOStA missachtet, als es die Ermittlungen so darstellen, als seien sie bereits abgeschlossen, obwohl die Untersuchungsergebnisse zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorlagen.
Die Unschuldsvermutung gilt auch für die Betreiber von Bordellen
Abschließend stellte das Kammergericht zutreffend fest, dass es für die Presseberichterstattung unerheblich sei, ob die Betreiber des Bordells einen „guten Ruf“ oder eine kriminelle Vorgeschichte hätten oder nicht. Ihnen stünden wie jeder anderen Person die Rechte aus Art. 1 und Art. 2 GG zu. Es sei sowohl ein unzureichendes Rechtsverständnis als auch verfassungswidrig, Menschen mit Vorstrafen oder Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit dem Betrieb von Bordellen verdienen, generell den guten Ruf oder die Ehre abzusprechen, so das Berufungsgericht. Dies verstößt nämlich sowohl gegen den Geist als auch gegen den Buchstaben der Verfassung.