Anwältin im Stau, Handy vergessen, Gerichtstermin verpasst - Dr Thomas Schulte

Sorgfaltspflichtverletzung: Anwältin verpasst Gerichtstermin wegen Stau – Anwaltshaftung

Ein aktueller Fall vor dem Anwaltsgerichtshof (AGH) Nordrhein-Westfalen sorgt für Diskussionen in der Anwaltschaft (AGH des Landes Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.09.2024 – 2 AGH 01/24).  Einer Anwältin wurde die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand verweigert, weil sie aufgrund einer Verspätung einen wichtigen Gerichtstermin verpasste. Dabei zeigt die Entscheidung des Gerichts eine unerbittliche Härte gegenüber menschlichen Fehlern, die selbst die sorgfältigsten Berufsträger nicht immer vermeiden können. Blöd für die Mandanten der Anwältin, die jetzt einen Schaden erleiden.

Ein strenges Urteil – und menschliche Schwächen

Die Anwältin hatte ihre Anreise zum 75 Kilometer entfernten Gericht in Hamm zu knapp kalkuliert und geriet an einem Freitagmittag im verkehrsreichen Ruhrgebiet in den Stau. Zudem hatte sie ihr Mobiltelefon nicht griffbereit, um das Gericht über die Verspätung zu informieren, und auch ihren Anwaltsausweis vergessen. Als wäre das nicht genug, verlief sie sich dann noch im Gerichtsgebäude, was ihre Verspätung weiter vergrößerte. “Dummerweise” war sie im Wiedereinsetzungsantrag ehrlich und gab die Ungeschicklichkeiten zu. Das Gericht entschied, dass diese Pannen durch bessere Organisation vermieden werden können und verwehrte deshalb die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand.

Doch ist diese Entscheidung wirklich gerecht? 

Unverhältnismäßig hart – Wo bleibt die menschliche Seite?

„Niemand ist perfekt, und selbst die gewissenhaftesten Berufsträger sind nicht frei von Fehlern. Es liegt in der Natur des Menschen, dass unvorhergesehene Dinge passieren“. Auch Richter und Staatsanwälte sind davon nicht ausgenommen – sie kommen gelegentlich verspätet zu Verhandlungen, werden krank oder finden sich in unbekannten Gebäuden nicht sofort zurecht. Der Unterschied: Für diese Berufsgruppen gibt es in der Regel keinen derartigen Druck, eine Wiedereinsetzung zu beantragen oder Sanktionen fürchten zu müssen. Kommt der Richter zu spät, passiert erst einmal gar nichts.

Die strikte Entscheidung des Gerichts setzt für Anwälte einen enorm hohen Maßstab, der in der Praxis schwer durchzuhalten ist. „Der Beruf des Anwalts ist ohnehin schon anspruchsvoll genug, und es wird immer schwieriger, alle Erwartungen zu erfüllen, wenn selbst kleinste menschliche Fehler zu solch gravierenden Konsequenzen führen können“ meinen viele. Der Schaden geht letztlich zulasten der Mandantschaft. Es ist nicht unüblich, dass Anwälte unter hohem Zeitdruck arbeiten, zahlreiche Termine koordinieren und dabei nicht immer alles reibungslos läuft.

Praxisfremde Anforderungen an die Anwaltschaft?

Ausweis vergessen, Handy vergessen, im Gebäude verlaufen, blöder Tag, oder? 

Die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand soll eigentlich dazu dienen, unvorhergesehene und nicht absichtlich herbeigeführte Missgeschicke auszugleichen. Laut § 233 ZPO ist hierfür jedoch eine Verhinderung ohne Verschulden der Partei. Wird beim Wiedereinsetzungsantrag angegeben, dass zu spät losgefahren wurde, liegt natürlich ein Verschulden vor. Im Zivilprozess gilt außerdem § 85 II ZPO, der normiert, dass das Verschulden des Bevollmächtigten (des Rechtsanwalts) dem Verschulden der Partei gleichsteht.

Für die Praxis bedeutet dies, dass Gerichte auch die Lebensrealität von Anwälten berücksichtigen sollten. Fehler passieren, und zwar jedem! 

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
22. Jahrgang - Nr. 9613 vom 29. Oktober 2024 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich