Art. 12a Grundgesetz räumt dem Gesetzgeber die Befugnis ein, Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an der allgemeinen Wehrpflicht zu unterwerfen. Wehrgerechtigkeit ist in aller Munde, da nur noch wenige junge Männer eines Jahrgangs eingezogen werden, so wurden im Jahr 2000 noch 144.647 junge Männer eingezogen im Jahr 2007 werden es nur noch 56400 Einberufungen sein. Der Gesetzgeber hat Handlungsbedarf erkannt und die Regelungen zur Einberufung verändert.
I. Was ist Wehrpflicht und wer muss sie ableisten?
Als Wehrpflicht bezeichnet man die öffentlich-rechtliche Verpflichtung eines wehrfähigen Staatsbürgers für einen gewissen Zeitraum in der Armee oder einer anderen Wehrformation eines Landes zu dienen. Die Wehrpflicht wird durch den Wehrdienst oder im Falle des § 1 des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes durch den Zivildienst erfüllt. Die Dauer des Grundwehrdienstes und des Zivildienst beträgt in Deutschland neun Monate. Nach § 1 Absatz 1 des Wehrpflichtgesetztes (WPflG) sind alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an, die Deutsche im Sinne des Grundgesetztes und ihren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben oder ihren ständigen Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland haben und entweder ihren früheren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatten oder einen Pass oder eine Staatsangehörigkeitsurkunde der Bundesrepublik Deutschland besitzen oder sich auf andere Weise ihrem Schutz unterstellt haben.
II. Gibt es Ausnahmen von der Wehrpflicht?
1. Von der Wehrpflicht ausgenommen sind Polizeivollzugsbeamte. Ihre Wehrpflicht gilt mit dem Eintritt in die Polizei (Polizei der Länder und Polizei des Bundes) als abgegolten. Eine Ausnahme besteht, wenn das Dienstverhältnis in der Polizei vor dem Ende der Wehrpflichtigkeit beendet wird.
2. Eine Freistellung vom Grundwehrdienst ist auch bei einer mindestens sechsjährigen Verpflichtung zum Ersatzdienst im Katastrophenschutz möglich, der z. B. beim Technischen Hilfswerk, bei der Freiwilligen Feuerwehr oder bei Hilfsorganisationen wie der Johanniter Unfallhilfe, dem Deutschen Roten Kreuz oder dem Malteser Hilfsdienst geleistet werden kann.
3. Ferner werden nicht herangezogen:
Der dritte Sohn einer Familie, sofern die beiden älteren Brüder ihren Wehrdienst bzw. einen Ersatzdienst abgeleistet haben; Männer, die für ein Kind sorgen müssen;
Männer, die schon in der Armee eines anderen Landes Wehrdienst geleistet haben und Männer, die mindestens einen Vorfahren (bis zu drei Generationen zurück) haben, der/die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt wurden.
III. Wie lange kann ich einberufen werden?
Am 1. 7. 2004 traten neue Regelungen bezüglich des Grundwehrdienstes in Kraft. Bei der Musterung werden nunmehr grundsätzlich nur so genannte „T1“ (vollverwendungsfähig)- und „T2“ (wehrdiensttauglich mit kleineren Einschränkungen)-Gemusterte einberufen, die unverheiratet sind und das 23. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Ferner wurde die Absenkung der Heranziehungsgrenze für den Grundwehrdienst vom 25. auf das 23. Lebensjahr, d. h. wenn jemand beispielsweise am 30.6. eines Jahres 23 wird, so kann er erstmalig zum 01. Juli eines Jahres nicht mehr dienstverpflichtet werden. Verheiratete oder in eingetragenen Lebenspartnerschaften lebenden Männern oder Wehrpflichtigen mit dem Sorgerecht für mindestens ein Kind werden nicht mehr herangezogen.
Wehrpflichtige die nach dem Erreichen der allgemeinen Hochschul- oder Fachhochschulreife eine betriebliche oder eine anderweitige Ausbildung aufgenommen haben, werden auf Antrag zurückgestellt. Wehrpflichtige können sich von der Dienstpflicht befreien lassen, wenn mindestens zwei Geschwister ein ziviles oder militärisches Dienstjahr geleistet haben.
Nach § 12 Absatz 4 Wehrpflichtgesetz kann ein Wehrpflichtiger auf Antrag vom Wehrdienst zurückgestellt werden, wenn die Heranziehung zum Wehrdienst für ihn wegen persönlicher, insbesondere häuslicher, wirtschaftlicher oder beruflicher Gründe eine besondere Härte bedeuten würde. Eine solche Härte liegt neben familiären und sozialen Gründen auch vor, wenn der Wehrpflichtige für die Fortführung des elterlichen Betriebes unentbehrlich ist.
Nach der Rechtsprechung kann der Betrieb auch nebenberuflich von dem Wehrpflichtigen geführt werden (so das Bundesverwaltungsgericht Fundstelle: NVwZ-RR 1995,402). Geschützt sind alle Betriebe. Auch die „freien Berufe“ unterfallen dem Betriebsbegriff im Sinne dieser Vorschrift. Zurückstellungsgründe sind grundsätzlich bis zum Abschluss der Musterung geltend zu machen. Treten sie später ein, ist ein Antrag erforderlich, der jederzeit gestellt werden kann. Die Einhaltung einer Frist ist nicht mehr erforderlich.
In den Fällen der Zurückstellung nach § 12 Absatz 4 Wehrpflichtgesetz ist eine Einberufung nur bis zum 25. Lebensjahr möglich. Vor diesem Zeitpunkt ist eine Einberufung nur möglich, wenn der Grund der Zurückstellung entfallen ist.
IV. Was kann ich gegen Bescheide des Kreiswehrersatzamtes tun?
Man kann gegen den Musterungsbescheid, den Einberufungsbescheid und die Ablehnung der Zurückstellung zunächst innerhalb einer zweiwöchigen Frist seit Bekanntgabe des Bescheides Widerspruch einlegen. Bei negativer Bescheidung kann man gegen die Bescheide vor dem Verwaltungsgericht klagen. In Eilfällen ist eine einstweilige Anordnung möglich.
V. Gibt es zur Zeit Wehrgerechtigkeit?
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit einer Entscheidung vom 19.01.2005 die Wehrgerechtigkeit bestätigt. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts liegt eine willkürliche Diskriminierung nicht vor, da sich die Wehrersatzbehörden bei der Auswahl der Einzuberufenden von sachlichen Erwägungen leiten lassen. Zeige sich, so das Bundesverwaltungsgericht, dass die Zahl der Einberufungen dauerhaft erheblich unter der Zahl der verfügbaren Wehrpflichtigen bleibe, müsse der Gesetzgeber das strukturelle Defizit durch eine Neuregelung der Verfügbarkeitskriterien binnen angemessener Frist ausgleichen. Dieser Pflicht ist der Gesetzgeber mit den Neuregelungen im Jahr 2004 noch rechtzeitig nachgekommen. Die gesetzliche Neuregelung sei sachgerecht. Diese Ansicht hat das Bundesverwaltungsgericht in zwei Beschlüssen aus dem Jahr 2006 noch einmal bekräftigt. Es bleibt die weitere Rechtsprechung von Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht abzuwarten, ob sich diese Auffassung wirklich durchsetzt.
Update 2024
Neuerungen zur Wehrpflicht in Deutschland
In den letzten Jahren hat sich die Diskussion um die Wehrpflicht in Deutschland erneut intensiviert. Nachdem die allgemeine Wehrpflicht 2011 unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ausgesetzt wurde, gab es aufgrund der geänderten sicherheitspolitischen Lage in Europa zunehmend Überlegungen, sie in veränderter Form wieder zu reaktivieren. Im November 2024 beschloss das Bundeskabinett unter Verteidigungsminister Boris Pistorius einen neuen Gesetzentwurf zum Wehrdienst, der voraussichtlich im Frühjahr 2025 in Kraft treten wird.
Aktuelle Entwicklungen
Der neue Ansatz sieht keine generelle Reaktivierung der Wehrpflicht vor, sondern eine moderne Form der Erfassung und Ausbildung potenzieller Wehrdienstleistender. Die Hauptänderungen umfassen:
– Digitaler Fragebogen: Männliche Staatsbürger, die nach dem 31. Dezember 2006 geboren wurden, sind verpflichtet, ab ihrem 18. Geburtstag einen digitalen Fragebogen auszufüllen, um ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Wehrdienst zu erklären. Für Frauen ist dies freiwillig. Bei Nichtausfüllen kann ein Bußgeld verhängt werden.
– Musterung und Auswahlverfahren: Anders als früher wird nur ein Teil derjenigen, die sich bereit erklären, zu einer Musterung eingeladen. Dies betrifft zunächst etwa 5.000 junge Männer pro Jahr. Dadurch soll eine zielgerichtete und bedarfsorientierte Einberufung sichergestellt werden.
-Dauer des Dienstes: Die Basisausbildung im neuen Wehrdienstmodell dauert sechs Monate. Je nach gewählter Spezialisierung und Verpflichtung kann der Dienst auf bis zu 23 Monate verlängert werden.
– Recht auf Kriegsdienstverweigerung: Dieses bleibt bestehen. Somit steht weiterhin die Möglichkeit offen, einen zivilen Ersatzdienst zu leisten.
Altersgrenzen für den Wehrdienst
Ein zentraler Aspekt des neuen Wehrdienstmodells sind die klar definierten Altersgrenzen:
– Beginn der Wehrpflicht: Die Wehrpflicht beginnt mit dem vollendeten 18. Lebensjahr. Alle Männer, die nach dem 31. Dezember 2006 geboren wurden, werden zur Teilnahme an der digitalen Erfassung aufgefordert.
– Ende der Wehrpflicht: Die Wehrpflicht endet mit dem Ablauf des Jahres, in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird. Dies gilt sowohl in Friedenszeiten als auch im Spannungs- oder Verteidigungsfall.
– Freiwilliger Dienst: Für Frauen ist die Teilnahme am Fragebogen und Wehrdienst freiwillig. Ebenso bleibt es männlichen Staatsbürgern offen, sich über die verpflichtenden sechs Monate hinaus freiwillig zu einer längeren Dienstzeit zu verpflichten.
Wesentliche Neuerungen
– Flexibles System: Das neue Modell verbindet Elemente einer freiwilligen Dienstverpflichtung mit verpflichtenden Maßnahmen zur Erfassung. Dadurch wird eine größere Flexibilität geschaffen, um die Bedürfnisse der Bundeswehr besser zu erfüllen.
– Gesellschaftliche Akzeptanz: Der Ansatz wurde bewusst so gestaltet, dass die Wehrpflicht nicht komplett reaktiviert wird. Dies soll die Akzeptanz in der Gesellschaft erhöhen, insbesondere da keine allgemeine Einberufung erfolgt.
– Vorbereitung auf Krisenszenarien: Obwohl die allgemeine Wehrpflicht weiterhin ausgesetzt bleibt, schafft der Gesetzentwurf einen rechtlichen und organisatorischen Rahmen, um im Spannungsfall schnell reagieren zu können.
Lagebericht zur Wehrpflicht in Deutschland
Die vorliegende Drucksache behandelt die Situation der Wehrpflicht in Deutschland, insbesondere deren Aussetzung seit 2011 und die Maßnahmen, die im Spannungs- oder Verteidigungsfall vorgesehen sind.
Hintergrund
Seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 durch das Wehrrechtsänderungsgesetz gelten die entsprechenden Regelungen des Wehrpflichtgesetzes (§§ 3 bis 53 WPflG) nur noch im Spannungs- oder Verteidigungsfall. Männer ab dem 18. Lebensjahr können dann wieder zum Wehrdienst herangezogen werden. Diese Entscheidung basiert auf Artikel 87a des Grundgesetzes, der die Verteidigung Deutschlands dem Bund zuweist.
Die Bundeswehr hat in der Zwischenzeit ihre Strukturen umgestellt. Wesentliche Kapazitäten für die Grundausbildung und Musterung wurden abgebaut. Stattdessen wurde der Bundesfreiwilligendienst als Alternative eingeführt.
Aktuelle Bedrohungslage
Die sicherheitspolitische Situation hat sich durch den Krieg in der Ukraine verschärft. Zwischenstaatliche Konflikte in Europa sind wieder vorstellbar, und besonders osteuropäische NATO-Staaten sehen sich durch Russland bedroht. Die Bundesregierung schließt daher weder die Ausrufung des Spannungsfalls noch eine mögliche Eskalation zum Verteidigungsfall aus. In einem solchen Szenario würde die Wehrpflicht automatisch wieder in Kraft treten.
Maßnahmen und Strukturen
Wehrerfassung und Mobilisierung:
•Im Spannungs- oder Verteidigungsfall erfolgt die Wehrerfassung durch die Meldebehörden der Länder.
•Die Mobilisierung erfolgt anhand eines Krisen- und Alarmplans der Bundeswehr.
•Ehemalige Wehrdienstleistende und Reservisten können schnell einberufen werden.
Personelle Ressourcen:
•Die Bundeswehr plant, Resilienzstrukturen mit bereits identifiziertem Personal aufzubauen.
•Für die Truppenreserve stehen 60.000 Dienstposten bereit, ergänzt durch weitere 30.000 in der Personalreserve.
Materielle und logistische Vorbereitung:
•Die Konzepte für Aufwuchs und Mobilmachung werden derzeit überarbeitet.
•Eine Vollausstattung der Reserve ist vorgesehen, einschließlich persönlicher Ausrüstung und Waffensystemen.
•Produktionskapazitäten der wehrtechnischen Industrie werden überprüft und optimiert.
Herausforderungen
Die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht würde umfangreiche organisatorische und strukturelle Anpassungen erfordern. Besonders die Ausbildungskapazitäten und Unterbringungsmöglichkeiten müssten stark erweitert werden, um eine schnelle Reaktion zu gewährleisten.
Perspektiven
Eine Ausweitung der Wehrpflicht auf Frauen ist derzeit nicht geplant. Die bestehenden Regelungen erlauben jedoch Flexibilität, um auf geopolitische Veränderungen zu reagieren.
weitere Infos unter https://www.bundestag.de/services/suche?suchbegriff=wehrpflicht