Verbraucher sind oft überrascht von den hohen Kosten ihrer Kredite. Die Rede ist dann schnell vom Wucher. Er ist an sich die strafbare Ausnahme. Die Gerichte haben aber die Rechtsfigur der „wucherähnlichen Geschäfte“ entwickelt, mit denen sittenwidrige Darlehen gemeint sind. Sie liegen vor, wenn der Verbraucher finanziell überfordert ist und der Kreditgeber dies vorsätzlich oder fahrlässig ausnutzt. Der Kredit ist dann nichtig.
Wann ist das der Fall und mit welchen Folgen?
Der BGH geht davon aus, dass ein Kreditvertrag nicht allein deshalb gegen die guten Sitten verstößt, weil der der Kreditnehmer durch seine Verpflichtungen überfordert ist. Grundsätzlich muss jeder Schuldner einer Kreditverbindlichkeit selbst prüfen und entscheiden, wo die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit liegen.
Wichtig ist, dass ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt und der Darlehensgeber die wirtschaftlich schwächere Lage seines Gegenübers oder seine Unterlegenheit bei der Festlegung der Darlehensbedingungen bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt oder sich leichtfertig der Einsicht verschließt, dass der Darlehensnehmer nur wegen seiner wirtschaftlich schwächeren Lage auf die erschwerten Darlehensbedingungen einlässt. Zu beachten ist außerdem, dass man bei einem derartigen Missverhältnis die „böse Absicht“ des Kreditgebers vor Gericht nicht erst beweisen muss; in einer solchen Konstellation wird ein vorsätzliches oder fahrlässiges Ausnutzen der Notlage des Kunden vermutet (BGHZ 98, 178).
In welchen Fällen liegt nun ein auffälliges Missverhältnis, also ein „Zinswucher“ vor? In der Regel nehmen die Gerichte dies an, wenn der Vertragszins den marktüblichen Effektivzins um 100 Prozent relativ oder um 12 Prozent absolut übersteigt (BGHZ 110, 338). Bei einem zinsgebundenen Abschluss des Darlehens in einer Niedrigzinsphase gelten 110 Prozent. Der entscheidende Marktvergleich lässt sich anhand von Zinstabellen der Bundesbank – den so genannten Zeitreihen – vornehmen (www.bundesbank.de).
Wie wird die Zinsbelastung berechnet?
Der BGH hat sich hierzu ausführlich geäußert (BGHZ 80, 153): Nicht nur die Zinslast selbst, sondern auch zusätzliche Kosten werden einbezogen: Zum einen Restschuldversicherungen. Mit ihnen wird das Rückzahlungsrisiko gegen Tod oder Erwerbsunfähigkeit abgesichert. Der Abschluss einer solchen Versicherung bringt beiden Teilen einen Vorteil, weil sie ihre jeweiligen wirtschaftlichen Risiken eines vertraglichen Scheiterns mindern. Der BGH hält es deswegen für sachgerecht, die Prämien des Kunden grundsätzlich zur Hälfte in die seine Gesamtbelastung mit einzubeziehen. Berücksichtigt werden auch „leistungsfremde“ Kosten wie etwa die Antragsgebühr. Sie stellen an sich keine Zinsen oder sonstigen Entgelte für die Kapitalüberlassung dar. Für den BGH ist aber entscheidend, dass sie den Kreditnehmer in gleicher Weise wie Zinsgebühren belasten und dass der Kreditgeber sie außerdem in das Entgelt für die Kapitalnutzung (also den Zins) mit einbeziehen könnte. Da es letztlich von der Vertragsgestaltung abhängt, wie diese Kosten ausgewiesen sind, bezeichnet sie der BGH als „austauschbar“. Auch die Kreditvermittlungskosten werden in die Gesamtbeurteilung einbezogen, weil sie im überwiegenden Interesse der darlehensgewährenden Bank liegen.
Die 100-Prozent-Regel gilt nicht immer: Auch bei unbilligen Vertragsbedingungen, die für sich genommen noch keinen „Zinswucher“ darstellen, kann eine Sittenwidrigkeit anzunehmen sein.
Die Rechtsprechung nimmt eine Gesamtwürdigung der Umstände vor. Dabei kann zu Lasten der Bank berücksichtigt werden, dass sie etwa über die Höhe des effektiven Jahreszinses keine oder unrichtige Angaben gemacht hat. Zusätzliche unbillige Vertragsbedingungen können die Sittenwidrigkeit ebenfalls begründen: Wenn der -bereits drückende – Vertrag etwa weitere Belastungen für den Fall des Kreditnehmerverzuges vorsieht, kann allein der Umstand, dass der Verzug wegen der wirtschaftlich schwierigen Lage des Kreditnehmers wahrscheinlich ist, den wucherähnlichen Charakter begründen (BGH NJW 1982, 2436).
Schließlich kann das Darlehen auch ohne Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sittenwidrig sein. So beispielsweise bei Unerfahrenheit des Kreditnehmers.. Wenn aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage absehbar ist, dass er den Kredit voraussichtlich niemals wird erfüllen können und hinzukommt, dass ihm diese Tatsache nicht hinreichend bewusst war (weil er etwa gerade erst volljährig geworden ist), kann ebenfalls Nichtigkeit anzunehmen sein.
Fazit: Insgesamt wird die Sittenwidrigkeit bei Darlehensverträgen von der Rechtsprechung restriktiv gehandhabt.
Vor allem sind die Gerichte grundsätzlich nicht bereit, von der 100-Prozent-Grenze abzuweichen. Wer aber feststellt, dass die sich die Gesamtkostenlast dieser Grenze nähert, sollte ihn überprüfen lassen. In diesem Fall muss der Verbraucher nur die ausgereichte Darlehensvaluta zurückzahlen. Bisherige Zinszahlungen werden angerechnet.
Autor (ViSdP): Dr. iur. Thomas Schulte
Dr. Schulte und sein Team – Rechtsanwälte mbB
12277 Berlin